Lieferketten sind ein anspruchsvolles Thema und das nicht erst seit Corona

Dienstag 22.02.2022 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Mit «adopre» lanciert adesso eine Lösung für den Logistikmarkt: Binnen Stunden lassen sich Wochenfahrpläne für hunderte Fahrten erstellen.

Algorithmische Work-Life-Balance: Startzeitdifferenzen bei den Fahrern lassen sich einfach visualisieren und die Planung schnell anpassen

Für eine Spedition ist die optimale Aufteilung von Fahrern und Fahrzeugen auf Routen das höchste Ziel. Besonders anspruchsvoll ist dabei der Teilbereich der Lebendtiertransporte. Neben Variablen wie Präsenz- und Lenkzeit oder Fahrzeugqualifikation des Fahrers müssen auch die Auflagen des Tierschutzes Beachtung finden. Schnell kommen 20 Optimierungskriterien zusammen, die alle erfüllt sein müssen. Der darauf aufbauende Fahrplan wird an vielen Orten noch immer manuell erstellt und Disponenten mit viel Erfahrung basteln stunden- oder tagelang an den Wochenplänen. Für das Management die aktuelle Situation dann häufig schwer nachvollziehbar.

Ein Schweizer Logistikanbieter brachte deswegen zusammen mit adesso das Projekt «adopre» (adesso operations research) auf den Weg: Zur Koordinierung von etwa 200 wöchentlichen Fahrten mit je 20-30 Fahrern und Fahrzeugen wurde binnen fünf Monaten eine SaaS-Lösung entwickelt. «Die Optimierung findet in einem fixen Rahmen aus Gesetzen und betrieblichen Notwendigkeiten statt. Der Raum für die Auftragserfüllung muss also intelligent genutzt werden», sagt Thomas Zimmermann, Solution Manager bei der adesso Schweiz AG. Grundsätzlich sieht das so aus: Lebende Tiere müssen bei den Produzenten, den Bauern, abgeholt und zum Schlachthof gebracht werden. Die Schlachthöfe haben Produktionsstrassen, die ständig laufen müssen. Die Ankunft muss also genau getaktet und an die dortigen Schichten angepasst werden, was somit auch für das Abholen gilt. Aufgrund von Auflagen des Tierschutzes sind auch Routen und Fahrzeiten genau vorgegeben. So muss laut Zimmermann «ein Fahrer ohne Zwischenstopp den direkten Weg vom Produzenten zur Produktion nehmen».

Algorithmische Work-Life-Balance

Das ist aber nur der Anfang: Denn auch Fahr- und Präsenzzeiten der Chauffeure sind gesetzlich geregelt. Weiter soll der Fahrer mit Rücksicht auf einen gesunden Schlafrhythmus auch immer ähnliche Startzeiten haben. «Das ist schon aufgrund der Sicherheit im Strassenverkehr wichtig», erklärt Zimmermann. Dazu kommt das Thema Work-Life-Balance, denn auch die LKW-Fahrer/innen sind an einem möglichst geregelten Tagesablauf interessiert. Gerade auch im Kampf um knappe Fachkräfte hat die Befindlichkeit der Fahrer für die Unternehmen grösstes Gewicht. Denn gemäss einem Bericht von SRF verlassen in der Schweiz zurzeit jährlich etwa 5000 Fahrer die Branche und nur 2000 kommen über Ausbildung und Quereinstieg neu dazu; der Rest muss aus dem Ausland geholt werden, wo ebenfalls ein Mangel besteht. Mit anderen Worten: die Befindlichkeit der Fahrer hat wirkliches Gewicht.

Alles in Allem musste adesso 20 sogenannte «Constraints» berücksichtigen. Der Lösungsraum wurde so sehr schnell sehr gross und damit in kurzer Zeit eine gute Lösung entstehen konnte, war die Skalierbarkeit wichtig, wie Zimmermann ausführt. «Um Ostern, Pfingsten oder Weihnachten ist mehr los. Unsere Lösung musste also Pläne für alle Situationen im Jahr im Voraus erstellen, damit sie schon vor Inbetriebnahme auf ihre Zuverlässigkeit geprüft werden konnte». 

Pro Wochenplanvariante wird nun einfach ein neuer Docker-Container gestartet. Aufgrund der Cloudfähigkeit via AWS können parallel gleichzeitig so viele Pläne wie nötig generiert werden. «So können wir die Lösung in allen Situationen testen». 

Forecasting Feature

Durch «adopre» ist somit ausserdem ein begrenztes Mass an Forecasting und Controlling möglich geworden. «Unser Kunde kann jetzt simulieren, wie viele Fahrzeuge für ein bestimmtes Wachstum benötigt werden oder wie viele Fahrer», so Zimmermann. Dies ist auch wichtig, weil die Fahrzeugbeschaffung mitunter bis zu einem Jahr dauern kann. Das Unternehmen kann nun also verschiedene Szenarien durchspielen und besser planen.

Diese Simulationen lassen sich aber auch in Bezug auf die Constraints durchführen, denn es gibt mehr als einen optimalen Plan. Das Unternehmen hat so die Möglichkeit, Schwerpunkte zu setzen: Wie sieht der Plan mit der optimalen Work-Life-Balance aus? Und wie sieht er aus, wenn wir vor allem auf die in der Wartung am günstigsten Fahrzeuge setzen wollen oder wenn es nur um die Marge geht? Die perfekte Balance zu finden, ist nicht einfach, und die Anspruchshaltung kann sich ändern.

Schliesslich erlaubt «adopre» auch schnelle Anpassungen: Fallen kurzfristig Mitarbeiter/innen aus, kann ein neuer Plan generiert werden, zurzeit etwa binnen 4 Stunden. Bisher brauchte der Disponent bis zu 1.5 Tage für einen neuen Plan - vom Risiko eines Ausfalls des Disponenten ganz zu schweigen.

adesso will die Lösung jetzt am Markt positionieren und weitere Logistik-Kunden gewinnen. Die anhaltende Pandemie dürfte die Nachfrage nach Lösungen, welche die nötige Flexibilität versprechen, noch beflügeln.

Techtalk:

Bei uns gilt Cloud-First: Mit Serverless setzen wir auf ein Cloud-natives Entwicklungsmodell und auf Docker zur Containerisierung – in diesem Fall im Amazon-Tech-Stack und damit Aurora als Datenbank. Für die Optimierung müssen die richtigen Algorithmen gewählt werden. Zunächst haben wir dafür auf genetische Algos gesetzt, uns dann aber für Constraint-Programming mit linearer Optimierung entschieden, da die Constraints das Wissen des Disponenten reflektieren.

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