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Wenn sich Sensoren bewegen

Wednesday 22.03.2023 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Für Helikopterpiloten sind frei schwebende Kabel lebensgefährlich, da sie kaum gesehen werden können. Ihre präzise 3D-Vermessung war bisher kaum möglich, doch mit dem Ropetracker steht nun eine Lösung bereit.

Der Ropetracker, ausgestattet mit zahlreichen Sensoren wie GPS, Neigungsmesser oder Laserdistanzmesser, kann an jeden Kabeltyp angehängt werden. (Quelle: Swisstopo; Luftfahrthindernisdaten Schweiz, Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL)

Der Himmel über der Schweiz kann durchaus gefährlich sein – zumindest für Helikopterpiloten. Neben bekannten Luftfahrthindernissen wie Kränen und Gebäuden geht die Gefahr vor allem von Kabeln aus – Stromkabeln, Kabeln für Skilifte, Heuseile oder Materialseilbahnen. Allein von den letzten beiden Kategorien gibt es schweizweit über 1500. Besonders gefährlich dabei ist der Umstand, dass Kabel schwer sichtbar sind, selbst bei guter Witterung. Eine Kollision kann für Helikopterpiloten und Crew rasch tödlich sein. Was die Situation noch schwieriger macht, sind die häufigen Veränderungen. Seilbahnen werden auf- und abgebaut, Kräne aufgestellt und wieder versorgt: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) nimmt etwa 2500 Mutationsanträge im Jahr entgegen.

In der Vertikalen zu wünschen übrig

Der potenzielle Lebensretter sind Karten, die vom BAZL herausgegeben werden und via Navigationskonsole den Piloten alle Kabel inklusive Endpunkten und Höhe über dem Boden anzeigen. Eigentlich. «Das Datenmaterial ist sehr gut in der horizontalen Dimension. In der Vertikalen liess es bisher leider zu wünschen übrig», so Yvo Weidmann, Geschäftsführer des Geoinformatik-­Unternehmens Geoidee Weidmann.

Doch was heisst das? Die horizontale Dimension zeigt zum Beispiel die Berg- und Talstation eines Lifts und das dazugehörige Kabel als verbindende Linie. Diese Daten lassen sich verhältnismässig einfach erfassen. Schwieriger wird es in der vertikalen Dimension – also bei der Höhe des Kabels über Grund. «Für eine präzise Antwort muss massiver Aufwand getrieben werden», so Yvo Weidmann. Bisher. Denn seit dem Sommer 2022 gibt es den sogenannten Ropetracker – vereinfacht ausgedrückt eine Kiste, die an jedem Kabeltyp angehängt werden kann und diesem entlangfährt. Ausgestattet ist der Ropetracker mit zahlreichen Sensoren (GPS, Neigungsmesser, Laserdistanzmesser), die es erlauben, die genaue Position im dreidimensionalen Raum zu erfassen. Gesteuert wird der Ropetracker via Fernbedienung, der Operateur kann die Route ausserdem via eingebaute Kameras live verfolgen. Dies ist wichtig, da der Ropetracker schnell aus der Sicht entschwinden kann.

Die grosse Herausforderung rund um den Ropetracker liegt vor allem in der Beweglichkeit der Sensoren. Diese erfassen ihre Umgebung in Bewegung und verändern ihre eigene Position im Verhältnis zu ihr permanent. Ebenfalls herausfordernd ist zudem die korrekte ­Synchronisation von Datenquellen und Sensoren, schliesslich hängen daran sprichwörtlich Leben.

Flughafen- und Gletscher-Erfahrungen

Yvo Weidmann ist von Haus aus Geomatik-Ingenieur und absolvierte zusätzlich einen MAS im Bereich Software Engineering. «Mit der Informatik habe ich aber schon zu Geomatik-Zeiten begonnen.» Eine Reihe von innovativen Projekten erlaubten ihm, das entsprechende Know-how hands-on aufzubauen: 2016 und 2017 entwickelte er für den Flughafen Zürich einen Fahrzeugaufbau, mit dem die Beleuchtungsstärke auf den Vorfeldern gemessen werden kann. Das ist der Ort, an dem Flugzeuge geparkt werden, um be- und entladen zu werden, betankt und ähnliches. «Es gibt regulatorische Vorschriften für die Intensität der Beleuchtung», so Weidmann. Der von ihm entwickelte Fahrzeugaufbau war ein Beispiel für bewegliche Sensoren.

Ein zweites wichtiges Projekt war die Vermessung von Gletschern auf Grönland. «Wir haben dafür eigens Flügeldrohnen entwickelt, die autonom 200 Kilometer fliegen konnten», erklärt Weidmann. Auf einem einzelnen Flug konnten so vier Gletscher sequenziell vermessen werden. Die aufgenommen Daten wurden in 3D-Ergebnisse für die Forschung umgewandelt. Auch hier handelte es sich also um eine Kombination von beweglichen Sensoren mit 3D-Daten.

Für das Projekt Ropetracker arbeitete das BAZL mit der Seilbahnfirma Bartholet aus Flums zusammen. Da Bartholet die Halterungen für die Lichtquellen am Flughafen Zürich geliefert hatte, gab es schon eine Verbindung zwischen Geoidee Weidmann und den Flumsern. Für den Ropetracker liefert Bartholet nun das Gefährt, den Antrieb sowie die Mechanik und Geoidee Weidmann den analytischen und programmiertechnischen Teil, um aus den Sensordaten akkurate Karten zu schaffen.

Die Arbeit am Projekt begann 2021, im Jahr darauf wurden die ersten Tests und anschliessend echte Messungen in den Bergen durchgeführt. Neben der höheren Genauigkeit erlaubt der Ropetracker eine enorme Zeitersparnis. «Früher mussten die Vermesser zu Fuss zur Bergstation gehen und eine GPS-Messung machen und dann wieder zurück. Der Ropetracker fährt das in 20 Minuten ab», erklärt Harald Urban, Air Navigation Obstacle Inspector beim BAZL.

Weiteres Potenzial

Die gesammelten Daten sind Allgemeingut und werden in die offizielle Karte des BAZL eingepflegt. Der Öffentlichkeit zugänglich sind sie via Datenportal von Swisstopo, wo sie nicht nur Helikopterpiloten zur Verfügung stehen, sondern auch Dritten wie etwa Gleitschirmfliegern.

Aktuell wird das Kartenmaterial nach Dringlichkeit aktualisiert. Der Himmel über der Schweiz ist zwar fast überall mit Kabeln gefüllt, nicht alle Zonen sind aber von gleicher Relevanz für die Helikopterpiloten. «Die Priorisierung erfolgt im Austausch mit den betroffenen Parteien», erklärt Weidmann. Zurzeit wird das weitere Potenzial des Ropetrackers ausgelotet. Die eingebauten Kameras waren ursprünglich nur als Steuerhilfe für den Operateur gedacht. Sie zeigen aber neben der Umgebung auch das Kabel selbst, eignen sich also zusätzlich für dessen Überprüfung. Bedenkt man die schiere Anzahl Mutationen, ist es sicher klug, aus jeder Überprüfung das Maximum herauszuholen. Ausserdem zeigt dieser Zweiteinsatz das Potenzial cleverer Innovation, die über die Erstverwendung hinausgeht. Man könnte auch sagen helvetische Ingenieurskunst.