Interview Laurent Haug «Menschen mit Ideen und Ideen mit Menschen verbinden»

Montag 03.03.2014 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Bekannt wurde Laurent Haug als Gründer der internationalen Lift-Konferenz. In diesem Interview spricht er über die Ursprünge seiner Idee, ihre weitere Entwicklung, seinen Abschied von Lift und über neue Projekte.

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Laurent Haug

Laurent Haug ist der Gründer der Lift-Konferenz. Einem der ersten Schweizer Events, das sich auf eine Kombination der Themen Innovation, Technologie und Gesellschaft fokussiert. Zwischen 2006 und 2012 wuchs Lift von 360 auf über 1000 Teilnehmer an. 2012 verliess er Lift, um sich neuen Zielen zu widmen. Heute arbeitet er als Berater, Referent und ist Partner der Anthemis Group. Mit der Veranstaltung «200ideas» wagte er sich vor Kurzem wieder in den Event-Sektor. Zwei Mal wurde er als eine der wichtigsten Personen der Schweiz geehrt (2006 im L’Hebdo, 2011 im Bilan). Ausserdem gewann er den Swiss ICT Award und wurde 2011 zu einem der wichtigsten 20 Unternehmer gewählt. Geboren wurde er im französischen Reims. 1994 kam er in die Schweiz, wo er Wirtschaft an der Universität Lausanne studiert hat.

swiss made software: Woher nahmen Sie die Idee für Lift?

Laurent Haug: 2004 arbeitete ich für ein grosses und sehr erfolgreiches Schweizer Unternehmen. Dort vertrat man die in meinen Augen sehr schweizerische Ansicht, dass sich die Dinge nie allzu radikal ändern und dass neue Technologien nicht wirklich zum Umdenken herausfordern. Seit den 1990ern war ich der Meinung, dass das Internet für fundamentale Veränderungen sorgen würde. Ich habe damals die Reboot-Konferenz in Dänemark besucht. Deren zentrales Thema waren die Veränderungen, welche das Internet in der Gesellschaft auslösen würde. Im Anschluss war mir klar, dass wir so eine Diskussion auch in der Schweiz führen müssen.

Sie entschlossen sich also, der Schweiz beim Schritt in die Zukunft zu helfen?

So etwas in der Art. Ich komme ursprünglich aus Frankreich. Vielleicht hat mir dieser Umstand erlaubt, die Schweiz aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Als ich Ende der 90er an der Universität Lausanne studierte, war die technische Infrastruktur dort deutlich besser, als alles was meine Freunde in Frankreich hatten. Jeder hatte eine E-Mail-Adresse und ausserdem Zugang zu damals neuen Ressourcen wie yahoo.stanford.edu. Dies eröffnete mir persönlich viele Möglichkeiten. Gleichzeitig wurde mir klar, dass die Schweiz ein enormes Potenzial besass, um in der kommenden digitalen Welt eine führende Rolle einzunehmen. Alles war fehlte, war das Bewusstsein dafür.

Wie kamen Sie zu dem Schluss, dass das hiesige Potenzial nicht ausgenutzt wurde?

Wer im Kern seiner Tätigkeit mit Informationen arbeitet, braucht fast nur einen Internetzugang zum Arbeiten. Man kann also wählen, wo man leben möchte. Hier sollte die Schweiz eigentlich ganz oben auf jeder Liste stehen – ganz besonders wenn man einmal Kinder hat. Das Gesundheitswesen ist sehr gut, das Gleiche gilt für die Schulen. Ausserdem ist das Land sehr sicher und verfügt über viele gut ausgebildete Menschen, die auch noch Englisch sprechen. Dazu kommen einige Forschungsstätten von Weltruf. Es gibt so viel Positives. Und trotz all dieser Vorzüge gelang es der Schweiz nicht, eine führende Rolle bei der digitalen Revolution zu spielen.
Mit Lift ging es mir vor allem darum, den Menschen klar zu machen, welch ein Potenzial in diesem Land schlummert. Ich wollte ein Forum schaffen für die Art Diskussion, die nötig war, um die digitale Zukunft zu navigieren, und zwar für die ganze Gesellschaft.

Das klingt schon fast etwas bombastisch.

Vielleicht, aber der Lauf der Dinge hat diese Einschätzung zumindest teilweise bestätigt. Werfen wir doch einen Blick auf die Lift-Themenliste von 2006: DRM, Datensicherheit, Meinungsfreiheit und Ähnliches. Im Wesentlichen handelt es sich hier um Themen von grosser sozialer Bedeutung. Damals sagte man mir bei einem Interview, Lift sei ja nur eine Nerd-Konferenz. Niemand würde das heute sagen. Alle diese Themen finden sich heute im täglichen Diskurs. Niemand kann es sich mehr leisten, die Auswirkungen der Technik auf die Privatspähre zu ignorieren.

Lift war also nie eine Techie-Konferenz?

Nein, mir ging es immer vielmehr um die Auswirkungen der Technik auf die Gesellschaft. Ich glaube zum Beispiel, dass Computer schon bald kein Thema mehr sein werden, welches unabhängig von Wirtschaft und Gesellschaft behandelt wird. Unternehmen haben ja schliesslich auch keine Englischabteilungen, obwohl die Sprache von allen benutzt wird. Genauso wird es zukünftig um die IT stehen. Sie wird aufhören, ein eigenständiges Thema zu sein und stattdessen allgegenwärtig werden.

Hatten Sie eigentlich schon vor der ersten Lift-Konferenz Erfahrung als Event-Organisator?

Nein, und das war auch ganz gut so. Wären mir alle Risiken bewusst gewesen, hätte ich es vielleicht nicht gemacht. 2006 habe ich die Konferenzräume nur drei Wochen vor dem Event gebucht. Die Mitarbeiter des Konferenzzentrums dachten damals, ich sei total verrückt, da solche Buchungen im allgemeinen ein Jahr im Voraus gemacht werden. Für mich war dieses Vorgehen damals nur logisch. Ich wollte ja nicht buchen, bevor ich wusste, wie viele Leute kommen werden. Im darauffolgenden Jahr bin ich dann allerdings etwas anders vorgegangen (lacht).

Worin hat sich Lift von anderen Konferenzen unterschieden?

Wir waren zum Beispiel die Ersten, die alle Vorträge gratis online gestellt haben. Heute gehört das ja schon fast zum guten Ton. Auch waren wir mit die Ersten, die Online-Ticket-Dienste eingesetzt haben. Da war aber auch etwas Glück im Spiel, denn Firmen wie Amiando traten genau damals auf den Plan. So haben wir uns gegenseitig bekannt gemacht. Amiando wurde dann an Xing verkauft und ist nach wie vor sehr erfolgreich.

In nur sieben Jahren wuchs Lift von 360 Teilnehmern auf über 1000. Warum haben Sie den Event verlassen?

Lift zu leiten war mein Glück und Privileg. Das Unternehmen wuchs rasant und ich organisierte über 15 Veranstaltungen auf zwei Kontinenten in nur sieben Jahren. Aber es war auch eine sehr stressige Zeit – fragen Sie jeden Event-Organisator! Nachdem meine erste Tochter geboren wurde, wollte ich etwas weniger reisen und etwas mehr Ruhe in mein Leben bringen. Ausserdem hatte ich das Gefühl, dass alles vorhanden war, um Lift auch ohne mich am Leben zu erhalten. Sylvie Reinhard übernahm meine Rolle als CEO. Da sie schon seit 2007 dabei war, bringt sie die Kontinuität zur Stabilität, die durch unseren Investor Abir Oreibi garantiert wird. Ich bin sehr glücklich, dass Lift auch ohne mich weiter besteht und zudem in sehr fähigen Händen ist.

Was machen Sie jetzt?

Durch Lift wurde ich zu einer Art Kurator für Innovation. Deshalb wurde ich immer wieder gebeten, anderen dabei zu helfen, aktuelle Entwicklungen zu verstehen. So begann meine Tätigkeit als Berater und Coach. Ich helfe meinen Kunden, die Auswirkungen neuer Technologien auf ihr Business-Modell zu verstehen. Ausserdem unterstütze ich Grossunternehmen bei Innovationsprogrammen oder arbeite mit sogenannten Lean-Start-ups. Aus diesen Dingen wuchs meine Tätigkeit als Referent. Meine Kunden baten mich nämlich, die Ergebnisse unserer Zusammenarbeit auch innerhalb ihrer Organisationen zu verbreiten. Und jetzt ist aus all diesen Dingen wieder ein neuer Event geworden.

Worum geht es dabei?

Es handelt sich um ein intimes und lokal fokussiertes Treffen mit dem Namen 200ideas. Entscheidungsträger sind berüchtigt für ihren Zeitmangel, und 200ideas soll ein Ort sein, an welchem sie die wesentlichen Trends und Innovationen in komprimierter Form präsentiert bekommen. 200 Minuten für 200 Franken. Die Teilnahme bedingt allerdings eine Einladung. Dennoch werden alle Vorträge aufgenommen und danach gratis ins Netz gestellt. Der erste dieser Events fand am 11. November 2013 statt und zwar in Französisch.

Sind Events in Französisch nicht ein bisschen retro, gerade in der Netz-Community?

Das Globale und das Lokale schliessen sich nicht gegenseitig aus. Ideen und Technologien sind global, aber ihr Einfluss auf die jeweilige Gesellschaft hängt von den lokalen Rahmenbedingungen ab. Und heute bin ich einfach mehr an kleineren lokalen Veranstaltungen interessiert, die dafür aber mehr Bezug zum Veranstaltungsort haben, als an einem einzigen grossen globalen Event.

Was machen Sie sonst noch?

Ich lehre Social Media an der Universität Lausanne, betätige mich als Berater im Event-Sektor und bin ein Referentenmentor für Wired UK. Ausserdem bin ich Teilhaber bei der Anthemis Group. Das Unternehmen will Finanzdienstleistungen für das Informationszeitalter neu erfinden. Dann gibt es noch ein paar verrückte Non-Profit-Projekte. Mein Steckenpferd hier sind Social-Media-Kurse für Menschen, die älter sind als 80. Ich möchte damit einen Beitrag leisten, um die Generationen besser zu verbinden.

Sie können sich wohl nicht über einen Mangel an Arbeit beklagen, oder?

Nein, nicht wirklich, aber ich arbeite auch nicht 20 Stunden pro Tag. Mir ist es einfach gelungen meine Stärken in verschiedenen Kanälen zum Tragen zu bringen. Meine Gedanken zum Thema Innovation sind meine Inhalte. Dazu kommen meine Beziehungen und Kontakte. Dieses Netzwerk ist von enormer Bedeutung. Und all das bringe ich zu anderen Menschen. Ich nenne das «Connecting people with ideas and ideas with people».

In welchen aktuellen Ereignissen sehen Sie Potenzial für die Zukunft?

Edward Snowdens Enthüllungen zur NSA werden einen grossen Einfluss haben. Sie sind vielleicht das Beste, was der europäischen IT seit Jahren passiert ist.

Warum?

In jedem grossen Unternehmen spielt Datensicherheit eine wichtige Rolle. Und Edward Snowden hat der ganzen Welt gezeigt, dass man einem amerikanischen Unternehmen nicht vertrauen kann, wenn es um sensible, wettbewerbsrelevante Informationen geht. Wenn sich die Europäer nur ein bisschen clever verhalten, hat sich da gerade ein riesiger Markt eröffnet.

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