Software-Pionierleistungen made in Switzerland

Montag 31.03.2014 Gregor Henger
Gregor Henger

Gregor Henger (*1935) Journalist seit 1958 bei Illustrierten und Tageszeitungen, u.a. «Neue Zürcher Zeitung». 1985 Mitbegründer der schweizerischen Ausgabe von «Computerworld». Heute arbeitet er als freier Journalist.

Die frühesten der schweizerischen Softwareentwicklungen erfolgten an der Züricher ETH, im 1948 gegründeten Institut für angewandte Mathematik. Dieses Institut war auf Initiative des neu ernannten Mathematikprofessors Eduard Stiefel gegründet worden.

Einige der Z4-Relaisschränke an der ETHZ. (Bildarchiv ETHZ)

Stiefel war ein brillanter Wissenschaftler, der nicht allein in seinem angestammten Fachgebiet bedeutende schöpferische Leistungen erbrachte, sondern darüber hinaus pragmatische Weitsicht und organisatorisches Talent vereinigte. Mit visionärer Klarheit erkannte er schon sehr früh das Potenzial der damals sogenannten automatischen Rechenanlagen und heute allgemein als Computer bezeichneten Rechner.

Die schöpferische Initialzündung

Es gelang Stiefel, um 1949 im süddeutschen Allgäu den genialen deutschen Erfinder Konrad Zuse sowie dessen in einem Stall vor den Kriegswirren in Sicherheit gebrachten Z4-Rechner aufzuspüren. Stiefel brachte es fertig, den zwar nicht auf dem neuesten Stand der Technik stehenden elektromechanischen Z4-Rechner 1950 für fünf Jahre zu mieten und an sein ETH-Institut zu holen.

Der Z4 arbeitete mit elektromechanischen Relais als Schaltelemente, während in der auf diesem Gebiet führenden angelsächsischen Welt elektronische Bauteile, vor allem Vakuumröhren, verwendet wurden. Diese arbeiteten mehrfach schneller als Relais, und darum waren elektronische Computer bedeutend leistungsfähiger. Trotz der überholten Technik funktionierte der von Konrad Zuse konstruierte Z4 nach vergleichbaren Konzepten, wie ihre elektronischen Nachfolger aus den USA. Dazu kam der Umstand, dass Zuse mit der als Plankalkül bezeichneten Software auch die erste höhere Programmiersprache geschaffen hatte. Dies versetzte das von Eduard Stiefel 1948 gegründete Institut für Angewandte Mathematik der Zürcher ETH in die Lage, als erste Hochschulinstitution in Kontinentaleuropa praktisch mit einem Computer zu arbeiten.

Und diese Pionierleistung trug sowohl auf der wissenschaftlichen Seite als auch in der Ingenieurpraxis reiche Früchte. In der Zürcher ETH-Bibliothek ist ein Verzeichnis der 55 industriellen und wissenschaftlichen Projekte vorhanden, die in den fünf Jahren des Z4-Betriebes durch Stiefels Institut für Angewandte Mathematik bearbeitet wurden. Schon 1949 – nur vier Jahre nachdem John W. Mauchly und John Presper Eckert in Aberdeen im Bundesstaat Maryland den als erste elektronische Rechenanlage geltenden ENIAC (Electronic Numerical Integrator And Computer) gebaut und in Betrieb genommen hatten, sandte Stiefel seine beiden ersten Assistenten, den jungen Elektroingenieur Ambros Speiser und den Mathematiker Heinz Rutishauser, für ein Jahr in die USA und brachte sie dank seinen persönlichen Beziehungen mit führenden amerikanischen Computerpionieren, darunter auch Mauchly und Eckert, in Kontakt. So verfügte Stiefels Institut für Angewandte Mathematik über einen damals in Europa einzigartigen Pool an theoretischem Fachwissen und praktischer Anwendungserfahrung – lange bevor sich die Bezeichnung Informatik für das im angelsächsischen Sprachgebrauch noch heute als Computer Science bezeichnete Fachgebiet einürgerte. Stiefel nutzte dieses intellektuelle Kapital seines Instituts für ein bereits bei der Institutsgründung gestecktes Ziel: den Bau eines eigenen ETH-Computers. Dieser Ermeth genannte Computer – Elektronische Rechenmaschine der ETH – wurde nach gut dreijähriger Entwicklungs- und Bauzeit 1957 fertiggestellt. Die noch erhaltenen Komponenten dieses ersten in der Schweiz gebauten Computers befinden sich heute als Dauerleihgabe im Museum für Kommunikation in Bern.

Der Compiler ist eine Softwareerfindung aus der Schweiz. Schon 1951 beschrieb der früh verstorbene Heinz Rutishauser in seiner Habilitationsschrift «Automatische Rechenplanfertigung » als Erster die Grundzüge solcher Übersetzungsprogramme. In dieser bahnbrechenden Publikation beschrieb er die Schlüsselsoftware, die zur Übersetzung von Programmen aus für Menschen verständlichen Programmiersprachen – wie beispielsweise Plankalkül und später Fortran oder Basic – in Binärcode aus Nullen und Einsen dient, der auf Maschinen lauffähig ist. Daneben entwickelte Rutishauser eine ganze Reihe von neuartigen Rechenverfahren zur Lösung mathematischer Probleme, von denen der Quotienten-Differenzen-Algorithmus am bekanntesten geworden ist.

Dazu war er auch führend an der in internationaler Zusammenarbeit entstandenen Programmiersprache Algol beteiligt, ein aus den Begriffen Algorithmic Language gebildeter Name. Am ETH-Institut für Angewandte Mathematik wurden seinerzeit erstmals in der Schweiz Programmierkurse mit praktischen Übungen am ERMETHRechner angeboten.

1968 wurde der zum Professor beförderte Heinz Rutishauser Mitglied der ETHFachgruppe für Computerwissenschaft. Diesem dreiköpfigen Gremium gehörten neben Heinz Rutishauser auch Peter Läuchli als Nachfolger von Ambros Speiser an, der zum ersten Direktor des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon ernannt worden war, sowie der aus den USA in eine Doppelprofessur an der Universität Zürich und die ETH berufene Niklaus Wirth.

Prototyp der Lilith-Arbeitsstation mit geöffnetem Gehäuse. (©H. R. Bramaz)

Professor Niklaus Wirth als Lehrer

Im Jahr 1984 wurde Niklaus Wirth durch die Association for Computer Machinery (ACM) der als Informatik Nobelpreis geltende A. M. Turing-Award verliehen.

Wirths Bedeutung ist aus den Millionenauflagen seiner Lehrbücher ersichtlich. 1975 erschien sein zum Klassiker gewordenes Werk «Algorithmen und Datenstrukturen» und drei Jahre später «Systematisches Programmieren», beides internationale Bestseller. Damals hatte Wirth bereits die Nachfolgeprogrammiersprachen von Pascal herausgebracht, Modula-2 und das Oberon- System.

Modula-2 entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Bau einer Workstation. Wirth hatte bei einem Studienaufenthalt am legendären Xerox Park-Forschungslaboratorium im kalifornischen Palo Alto den ersten Rechner dieser Art kennengelernt. Er war davon so beeindruckt, dass er beschloss, in seinem ETH-Institut für Computersysteme einen Lilith getauften Arbeitsplatzrechner mit hochauflösendem Bildschirm, einer Maus und Lokalnetzwerk-Anschluss zu konstruieren. Da Pascal für Systemprogrammierung kaum geeignet war, erweiterte Wirth diese als Lehrmittel konzipierte Sprache zu Modula-2 und programmierte damit das Lilith Betriebssystem Medos. 1980 waren die beiden Lilith-Prototypen fertiggestellt. In der führenden amerikanischen Fachzeitschrift Byte wurde die Lilith-Arbeitsstation geradezu schwärmerisch als «Traum jedes Programmierers» beschrieben.

Doch der Plan, die Lilith auf den internationalen Markt zu bringen, scheiterte – vor allen aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Immerhin wurde durch eine dieser genannten Firmen mehrere hundert Lilith-Arbeitsstationen hergestellt und zum Teil an die ETH geliefert, wo sie jahrelang als beliebte Rechner für Studentenarbeitsplätze dienten. Als Lilith-Nachfolgeprojekt wurde unter der Leitung von Niklaus Wirth 1986 die ohne Festplatte und Ventilator praktisch lautlos funktionierende Arbeitsstation Ceres entwickelt. Bis 1989 wurden drei Ceres-Entwicklungsgenerationen, insgesamt 180 Rechner, im Eigenbau durch das ETH-Institut für Computersysteme produziert und als kostengünstige Arbeitsstationen für Studentenlabors mit dem äusserst kompakten Betriebssystem Oberon eingesetzt. Das Oberon-Projekt war bei einem weiteren Studienaufenthalt von Wirth im Xerox Parc begonnen und in Zusammenarbeit mit dem später ebenfalls zum ETH-Informatikprofessor ernannten Jürg Gutknecht entwickelt worden. Die prägende Ära von Niklaus Wirth an der ETH Zürich ging 1999 mit der Emeritierung dieses prominentesten schweizerischen Informatikwissenschafters zu Ende.

 

WWW – das weltumspannende Kommunikationsmedium

Am Kernforschungslabor Cern bei Genf stellten 1992 der Brite Tim Berners Lee und sein französischer Kollege Robert Calliau das ursprünglich für die Unterstützung der internationalen Zusammenarbeit der Cern-Physiker gedachte World Wide Web (WWW) vor. Dank dieser in der Schweiz gepflanzten Wurzeln wurde das in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts in den USA entstandene Internet in wenigen Jahren zu einem heute noch explosiv wachsenden globalen Kommunikationsmedium.