Interview Bettina Niklaus und Sabine Do-Thuon: "Qualität ist gefragt"

Montag 17.03.2014 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Qualitätssoftware – was heisst das? Die Ingenieurinnen Bettina Niklaus und Sabine Do-Thuong von Adnovum geben Auskunft über Swissness und Software-Qualität, darüber, ob sich Software in Schweizer Qualität auch im Ausland entwickeln lässt und was es dazu braucht.

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Bettina Niklaus

Bettina Niklaus, MSc ETH in Computer Science, leitet seit 2009 das Quality-Management-Team von AdNovum. Davor betreute sie als technische Projektleiterin bei AdNovum Hungary Kft. in Budapest schweizerisch-ungarische Entwicklungsteams bei der Umsetzung von Projekten für Banken und Behörden in der Schweiz. Sie spielte eine tragende Rolle beim Aufbau der Qualitätssicherungsprozesse bei AdNovum.

Sabine Do-Thuong

Sabine Do-Thuong, Dipl. Informatik-Ing. ETH, engagiert sich als Software-Quality-Ingenieurin bei AdNovum für eine integrierte automatisierte Qualitätssicherung in Entwicklungsprojekten. Sie ist Spezialistin für Continuous Integration, Testautomatisierung, Source-Code- und Dependency-Analysen, risikobasiertes Testing und weitere Tools und Methoden der Qualitätssicherung.

Christian Walter: Als Schweizer Softwarehaus steht Adnovum für Qualität. Ist das Ausdruck der hiesigen Kultur?

Bettina Niklaus: Pünktlichkeit und Qualität sind sicher Teil des Schweizer Selbstverständnisses. Insofern sind wir ein Produkt dieser Kultur. Allerdings denke ich auch, dass wir in Sachen Qualität deutlich weiter gehen als kulturell bedingt. Viele unserer Kunden agieren in einem Umfeld, in dem es keine Ausfälle geben darf – gerade im Finanzdienstleistungssektor. Das erfordert ein hohes Mass an Präzision, selbst nach Schweizer Massstäben. Und das ist ein Umstand, dessen sich sogar Teile unserer Schweizer Kundschaft nicht bewusst sind.

Christian Walter: Was meinen Sie damit?

Sabine Do-Thuong: Wir verbinden mit unseren Produkten und Dienstleistungen oft sogar einen höheren Qualitätsanspruch als unsere Kunden. Dank unserer langjährigen Erfahrung mit grossen Softwareprojekten haben wir eine umfassende und differenzierte Sicht auf Softwarequalität. Wir wissen, wie man Qualitätssoftware entwickelt.

CW: Qualität resultiert aus Zeit und Qualifikation – beides kostet viel Geld. Gibt es dafür einen Markt?

BN: Ja, Qualität ist gefragt und einige unserer Kunden bestehen auf einer hundertprozentigen Entwicklung in der Schweiz. Dass es einen Markt für Qualität gibt, zeigt sich auch in der positiven Entwicklung unseres Unternehmens: Seit 2009 hat sich die Anzahl unserer Mitarbeitenden verdoppelt.

SD: Natürlich braucht nicht jeder Kunde dieses Mass an Präzision. Aber auf einem gewissen Niveau kommt einfach nur eine Handvoll Anbieter in Frage. Bei diesen Ausschreibungen geht es dann weniger um den Preis als um die Kosten. Kunden, die diesen Unterschied verstehen, können wir klar die Vorteile unserer Arbeitsweise aufzeigen.

Welche sind das?

BN: Qualität beginnt beim Design, bei der Definition der Architektur sowie der Auswahl von Technologien und Komponenten. Wir interessieren uns für das Innenleben der Komponenten und bauen sie nicht unbesehen ein. Weiter achten wir auf Aspekte wie Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Herstellers sowie Wartbarkeit.

SD: Auf Prozessebene setzen wir auf Continuous Integration (CI): Vom ersten Tag an wird die Software jede Nacht in einem Nightly Build zusammengebaut. Diesen ergänzen wir durch manuelle und automatisierte Tests der einzelnen Komponenten und Funktionsblöcke. Das gilt auch für agile Projekten mit kurzen Release-Zyklen. Schliesslich stehen wir auch nach der Lieferung für unsere Software gerade – mit Garantie, Wartung und Application Management.

Seit Kurzem ist Adnovum in Singapur tätig. Sind Swissness und Qualität Faktoren im Ausland?

SD: Ja, Swissness ist in Asien ein Businessfaktor. Dieses Feedback erhalten wir von unseren Kollegen vor Ort immer wieder.

BN: By the way, software in Swiss quality can also be produced abroad. While the majority of our developers still work in Switzerland, we also develop in Singapore, and our near-shoring center in Hungary now produces a considerable proportion of our software. But to make this work, we first had to export our culture.ren.

Wie exportiert man denn Schweizer Qualitätskultur?

BN: Mit persönlichem Einsatz und Zeit vor Ort. In Ungarn sind wir seit etwa acht Jahren. Unsere ungarischen Ingenieure haben mit der ETH vergleichbare Abschlüsse, aber ihr Qualitätsverständnis ist initial ein anderes. Sie arbeiten deshalb vor allem in den ersten Monaten eng mit Schweizer Ingenieuren zusammen und absolvieren ein von uns gestaltetes Weiterbildungsprogramm. Ausserdem gehen immer wieder Schweizer Entwickler für einige Zeit nach Budapest und arbeiten dort in den Projektteams. Ich selbst habe dort zwei Jahre gearbeitet. Gleichzeitig holen wir Leute aus Ungarn oder Singapur auch in die Schweiz. Es gehört zur Firmenkultur, solche Schritte zu fördern. Mit 90 Personen arbeitet mittlerweile etwa ein Drittel unserer Entwickler in Ungarn. Dabei hilft es natürlich, dass die Distanz überschaubar ist. Nach Ungarn kann man schnell mal für zwei, drei Tage fliegen. Mit Singapur ist dies schwieriger.

Das klingt alles sehr positiv. Ist Schweizer Qualität also ein Verkaufsargument ohne Einschränkungen?

BN: Nur in Verbindung mit dem richtigen Erwartungsmanagement. Problematisch wird es für uns, wenn Kunden nicht verstehen, dass eine höhere Qualität auch einen höheren Aufwand bedeutet – und zwar nicht nur für uns als Lieferanten, sondern auch für sie als Kunden.

SD: Gerade Kunden, die weniger IT-affin sind, machen zum Teil die Fehleinschätzung, dass die Software am Liefertag fertig ist. Dabei wird häufig vergessen, dass sich die Endintegration nur zu einem gewissen Grad simulieren lässt. Informatiksysteme sind oft historisch gewachsen, und je komplexer sie sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Anomalien oder unvorhersehbare Wechselwirkungen auftreten.

Wie gehen Sie damit um?

SD: Wir setzen auf offene Kommunikation – von Anfang an. Also auch schon während der Ausschreibung. Es ist besser, jeden Schritt und den damit verbundenen Aufwand von Anfang an zu kommunizieren.

Heisst das, der Kunde weiss sonst gar nicht, worauf er sich einlässt?

SD: So weit würde ich nicht gehen. Doch gerade bei komplexen Projekten mit vielen Abhängigkeiten ist am Anfang oft nicht klar, wie das Endergebnis genau aussehen soll.

BN: Ausserdem sind komplexe Softwareprodukte lebendig – sie haben einen Lebenszyklus, dazu gehören Betrieb, Wartung und die Wünsche, die unweigerlich über die Version 1.0 hinausgehen. Das gehört alles zusammen. Nur, wenn man den ganzen Lebenszyklus im Griff hat, kommt am Ende ein Qualitätsprodukt heraus. Dazu gehört auch die Einbindung des Projektteams des Kunden. Mit den Endnutzern selbst haben wir meist wenig zu tun, sie interagieren mit dem Projektteam.

Wie hat sich die Qualitätssicherung in den letzten Jahren verändert?

SD: Unsere Rolle ist wichtiger geworden. Früher waren wir zu dritt, heute besteht unser Quality-Management-Team aus zwölf Quality Assurance Engineers und 15 Applikationstestern.

BN: Zentral ist sicher die Weiterentwicklung unserer Plattform für Continuous Integration. Die gibt es zwar schon seit elf Jahren, aber die Anforderungen haben sich ausgeweitet. Am Anfang lag der Fokus auf Middleware, heute auf java- und browserbasierten Applikationen. Dazu kommen jetzt Herausforderungen im Bereich Mobile. Plattformunabhängig und automatisiert auf verschiedenen Endgeräten zu testen ist aktuell ein grosses Thema, ein weiteres die Automatisierung des Testens. Das ist nach wie vor aufwendig.

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