Bioprozesse effizient digital steuern

Donnerstag 29.06.2017 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Mit Big Data beginnt auch in der biologischen Forschung ein neues Kapitel. Zusammen mit Noser Engineering entwickelte die Firma Infors AG eine neue Software-Suite, die Forschenden einen tieferen Einblick in ihre Experimente geben soll und gleichzeitig erlaubt, komplette Audit-Trails zu rapportieren.

Mit einer neuen Bioprozess-Steuerungssoftware will Infors AG den Markt für Bioreaktoren und Inkubationsschüttler revolutionieren. Der Antreiber ist einmal mehr Big Data. (Quelle Infors AG)

In der Biotechnologie- und Pharmaindustrie sind Inkubationsschüttler und Bioreaktoren zentrale Geräte. Beide schaffen ideale Wachstumsbedingungen für Mikroorganismen, Säuger- oder Pflanzenzellen. Mit einer geeigneten Bioprozess-Steuerungssoftware mit geschickten Regelalgorithmen, welche auf Analysedaten und Prozessmodellen basieren, können diese Bedingungen kontinuierlich optimiert werden. So kann beispielsweise das Wachstum der Organismen und damit die Produktausbeute oder -qualität präzise gesteigert werden. Hierfür ist es erforderlich, eine zunehmende Menge an Prozessdaten zu sammeln und zu verstehen, sodass diese zu Informationen und Wissen weiterverarbeitet werden können. Big Data findet Einzug in die Biotechnologie und revolutioniert die Möglichkeiten der Unternehmen, zum Beispiel die Time to Market, einen kritischen Parameter in der Pharmaindustrie, zu verkürzen. Infors AG erkannte frühzeitig das Potenzial und begann bereits vor drei Jahren, die etablierte Bioprozess-Steuerungs- und Analyse-Software komplett durch eine moderne, webbasierte Lösung zu ersetzen und auf diese Zukunft auszurichten.

Zur Umsetzung verstärkte Infors AG das hauseigene Entwicklungsteam durch Experten der Noser Engineering AG. Das interdisziplinäre Team entwickelte direkt vor Ort mit agilen Methoden die Bioprozess-Plattform-Software eve®, welche aus vielen komplex interagierenden Modulen aufgebaut ist.

Reports individuell zusammenstellen

eve® ist ein serverbasiertes System, welches innerhalb des Firmennetzwerks zum Beispiel über OPC (DA, XML DA und UA) Befehle an die Geräte sendet und Prozessdaten sammelt. Alle Daten werden zentral gespeichert und können per HTTP oder per REST API abgerufen werden. Ein wichtiger Teil der Lösung ist die von Noser Engineering entwickelte Reporting-Komponente, welche in das Gesamtsystem eingebettet ist und aus einem Wizard und einer Reporting Engine besteht. Im Wizard kann sich der Nutzer Reports nach individuellen Kriterien zusammenstellen, während die Reporting Engine die Ergebnisse visualisiert. Die Reporting Engine ist nahtlos in das Webinterface integriert und kann die Reports als HTML5 Preview anzeigen sowie diese in vordefinierten Formaten wie PDF, Word, PowerPoint und Excel ausgeben.

Um dem Schlagwort Big Data gerecht zu werden, ist auch die Reporting Engine an die Datenbank angeschlossen. In dieser werden sekündlich neue Messwerte aller im ganzen Gerätepark vorhandenen Sensoren aufgezeichnet. «Zwar erscheinen die Frequenz und die Datenmenge niedrig, doch ist dies für die Biotechnologie eine kleine Revolution. Viele Labore haben noch immer mehrere eigenständige Systeme mit unstrukturiert abgelegten Datendateien», so Eric Abellan, Produkt Manager bei Infors AG. Die Kunst ist, die stark gesteigerte Datenmenge so abzulegen, dass die rechenintensiven Analysen wie auch das Abrufen der Daten effizient geschehen können und der Nutzer eine inhaltliche Aussage machen kann. «Für diese neue Welt sind klassische SQL-Datenbanken zu limitiert», so Abellan.

Datenberge wieder für den Menschen verständlich machen

Noser Engineering implementierte deswegen zusammen mit dem Team der Infors AG die auf grosse Datenmengen ausgelegte Datenbank ElasticSearch. Die Software kommt global bei Grössen wie Netflix oder auch am CERN zum Einsatz. Ohne deren moderne Features liessen sich die grossen Datenmengen nicht in einen für den Menschen verständlichen Bericht verwandeln. «Bei einem mehrwöchigen Experiment kommen schnell Millionen von Datenpunkten zusammen. Das kann keine Reporting-Engine ohne Weiteres darstellen. Es gibt schlicht nicht genügend Pixel, um ein Chart mit so vielen Datenpunkten zeichnen zu können», so Dennis Alberti von Noser Engineering. Mit Hilfe von ElasticSearch ist es möglich, diese Daten auf 300–400 Datenpunkte herunterzurechnen.

Zur Geschwindigkeitsoptimierung sucht die Reporting Engine nicht direkt in der Datenbank, sondern wird via ElasticSearch mit einem fertigen Datenpaket versorgt. Noser entkoppelte damit die Reporting Komponente von den tieferen Elementen der eve® Software. Dieser modulare Gedanke zieht sich konsequent durch die ganze Software, sodass es jederzeit möglich ist, einzelne Komponenten zu ersetzen.

Zudem entspricht eve® den Anforderungen der Regulierungsbehörden FDA und EMA und ist entsprechend validierbar. Dafür ist es zum Beispiel nötig, alle Interaktionen der Nutzer/-innen mit der Plattform nachvollziehen zu können. Die Information, wer wann was in welchem Experiment getan hat, wird lückenlos in der Datenbank aufgezeichnet. «Dies erlaubt uns, komplette Audit Trails zügig zu rapportieren», so Abellan.

Die neue eve® Software ist seit Oktober 2016 am Markt. «Zusammen mit Noser Engineering ist es uns gelungen, eine völlig neue Art Lösung zu schaffen. Zurzeit sind wir die einzigen, die solche Funktionalitäten anbieten», meint Abellan. Gemäss Infors AG sind die ersten Kundenfeedbacks positiv und das Interesse am Markt gross. Dies wohl auch, da eve® ein weiteres Bonbon im Gepäck hat: Die Lösung funktioniert nicht nur mit der eigenen Hardware, sondern auch mit Drittgeräten.