Interview Tobias Ackermann: «Wir bieten Swissness mit globaler Best Practice»

Samstag 29.09.2018 Alessandro Monachesi
Alessandro Monachesi

Alessandro Monachesi ist Kommunikationsberater bei der PR-Agentur science communications GmbH in Zürich. Zuvor war er viele Jahre als Journalist bei einer der grössten Schweizer IT-Fachzeitschriften tätig.

Tobias Ackermann leitet seit Jahresbeginn das Schweizer Geschäft des Business-Softwareherstellers Sage. Ein Gespräch über Schweizer Entwicklung in einem globalen Konzern.

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Tobias Ackermann

Tobias Ackermann ist seit Januar 2018 Country Manager der Sage Schweiz AG. Der 37­Jährige verfügt über einen Abschluss in International Management (Business Economist) der Fachhochschule Nordwest­ schweiz (FHNW) in Olten. Ackermann startete seine Karriere bei Sage im Juni 2015 als Vice President Revenue Marketing Business Development in Dublin (Irland), wo er für den Aufbau und die strategische Neuausrich­ tung des internationalen Marketings zuständig war. Zuletzt war er als Executive Vice President Perfor­ mance Marketing tätig. Bevor er zu Sage kam, hielt Ackermann ver­ schiedene Positionen im Bereich Marketing und Sales inne, unter anderem bei Adobe Systems sowie der ERNI Group Holding.

Alessandro Monachesi:: Wie kommt es, dass Sage als internationaler Hersteller Mitglied bei swiss made software ist?

Tobias Ackermann:: Swiss Made spielt für Sage eine wichtige Rolle und es ist tatsächlich so, dass unsere Produkte mit wenigen Ausnahmen in der Schweiz entwickelt werden. Mit swiss made software erhalten unsere Kunden eine Art Gütesiegel, das bestätigt, dass ihre Lösung an Schweizer Gesetze und neueste Standards ausgerichtet wird.

Produzieren Sie Software hierzulande nur für die Schweiz oder auch für den Gesamtkonzern?

Heute wird hier nur für die Schweiz produziert. Wir investieren aber derzeit in gewisse Zukunftstechnologien und -themen, wie etwa Kryptowährungen. Das ist in der Schweiz ein sehr innovationsträchtiges Gebiet und es ist davon auszugehen, dass wir Entwicklungen aus diesem Bereich auch international nutzen werden.

Welche Produkte werden in der Schweiz produziert?

Komplett hier produziert werden Sage 200 Extra, Sage 50 Extra und Sage Start, wobei bei Sage Start die technologische Basis (Framework) aus der Gruppe kommt.

Wie viele Angestellte beschäftigen Sie in der Schweiz?

In Root arbeiten rund 170 Personen, davon etwa ein Viertel in der Entwicklung; derzeit haben wir zusätzlich zehn offene Stellen. Für die ganze Sage sind es 13'000 Mitarbeitende mit 2500 Entwicklerinnen und Entwicklern.

Sind unter diesen offenen Jobs auch Programmiererstellen?

Nein, ein Ausbau unsere Entwicklungsabteilung ist zurzeit nicht geplant. Wir haben letztes Jahr auf eine agile Entwicklung umgestellt, wodurch wir schneller auf Marktbedürfnisse reagieren können. Zudem haben wir eine Konsolidierung und Modernisierung unserer umfangreichen Produktpalette auf eine übersichtliche Anzahl von Kernprodukten vollzogen.

Welche Vorteile bietet Ihrer Ansicht nach die Zugehörigkeit zu einem globalen Konzern?

Wir bieten eine Symbiose aus Swissness – Compliance mit allen Gesetzen und Vorschriften im hochregulierten Schweizer Umfeld – und zukunftsweisenden Technologien sowie Best Practice aus dem Erfahrungsschatz von weltweit drei Millionen Kunden. In der Entwicklung konzentrieren wir uns stark auf das Schweizer Geschäft und die lokale Compliance. Ab diesem Jahr werden aber sicher im globalen Konzern entwickelte Lösungen dazukommen. Das erste globale Produkt, das im Schweizer Markt eingeführt wird, ist die neue Enterprise-Management-Lösung für Grossunternehmen und den gehobenen Mittelstand; sie stellt eine echte Alternative zu den klassischen ERP-Anbietern dar.

Woher kennt Sage als internationaler Hersteller die Bedürfnisse seiner Schweizer Kundschaft?

Wir sind in der Schweiz historisch gewachsen, seit über 30 Jahren im Markt unterwegs und verfügen hier über 60'000 Kunden. Wir kennen also die Bedürfnisse von Schweizer KMU sehr genau. Dazu gesellt sich unser Netzwerk mit über 450 spezialisierten Partnern, die unsere Kunden unterstützen, und über 2400 Treuhändern. Viele unserer Kunden schliessen
Supportverträge ab. Daraus entsteht ein reger Austausch darüber, was funktioniert und welche Funktionen gewünscht sind. So kommt viel Input für unser Entwicklungsteam zusammen, der sich als Innovation in den Produkten niederschlägt.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Nehmen wir das bereits angesprochene Thema Kryptowährung. Das war ein Input aus diesem Netzwerk, aus dem wir einen Business-Case abgeleitet haben und nun aktiv entwickeln: die Abbildung von Kryptowährungen in der Buchhaltung. Die Funktion wird im April eingeführt und ist zumindest konzernintern ein absolutes Novum. Die Integration eines automatischen Bonitätsmanagements als Bestandteil der Buchhaltung ist ein anderes Beispiel; dessen Umsetzung sieht unsere Roadmap bis Ende Jahr vor.

Sie haben bereits die hohe Regulierungsdichte in der Schweiz erwähnt. Welche Neuerungen hatten und haben hier den grössten Impact auf die Produktentwicklung?

Sehr aktuell ist die Harmonisierung des elektronischen Zahlungsverkehrs in der Schweiz, also die Zusammenführung der bisherigen Systeme von PostFinance und Banken in einem einheitlichen ISO 20022-Standard. Von dieser Umstellung sind grundsätzlich alle Schweizer Unternehmen betroffen, gibt es doch Änderungen bei Überweisungen, Lastschriften, Avisierungen und Kontoauszügen. PostFinance hat ihre Systeme per 1. Januar 2018 umgestellt, die Banken folgen per 1. Juli 2018. Selbstverständlich ist unsere Software bereit für die neuen Formate und wir arbeiten mit verschiedenen Finanzinstituten an der fristgerechten Einführung.

Inwiefern ist auch die neue europäische Datenschutzverordnung (EU-DSGVO) ein Thema für Sage Schweiz?

Die neue Verordnung kann auch Schweizer Unternehmen betreffen, wenn sie etwa Daten von EU-Bürgern erheben, verarbeiten oder speichern. Wir arbeiten intensiv an Informationen und Services, die unsere Kunden darauf vorbereiten. Denn die Auswirkungen der EU-DSGVO gehen weit über die reine Software hinaus und betreffen viele grundlegende Prozesse im Unternehmen. Überdies beobachten wir die Entwicklungen rund um die Verordnung, um zu erkennen, ob Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung unserer Produkte besteht.

Sage spricht gerne von «Zero Admin» und verspricht, den Administrationsaufwand zu minimieren. Wird uns die Digitalisierung wirklich die Tagesarbeit abnehmen?

Sehen Sie, ich bin selbst in einem Familienbetrieb, einem Kleinunternehmen, aufgewachsen. Meinem Vater erging es damals nicht anders als vielen anderen Start-ups und kleinen Unternehmen heute: Er arbeitete während über zwanzig Jahren überwiegend mit Excel und Word. Jeder Arbeitsschritt vom Angebot bis zur Debitorenliste wurde in einem OfficeDokument festgehalten. Inzwischen hat er umgestellt auf eines unserer Angebote und hat nun die gesamte Auftragsbearbeitung, Lohnbuchhaltung und Finanzbuchhaltung abgebildet – inklusive Onlineanbindung an seine Bankkonten. Das einzige, was er nun noch von Hand macht, ist die Angebotserfassung. Ab da ist ein Grossteil digitalisiert. Das hat dazu geführt, dass sich seine administrativen Kosten um 70 Prozent reduziert haben.

Stattdessen kann sich Ihr Vater nun auf Wichtigeres konzentrieren?

Jetzt hat er Zeit, die Geschäftszahlen zu analysieren und zu optimieren und mit dem Treuhänder zusammenzuarbeiten, um alle Abschlüsse sauber zu dokumentieren. Das waren früher administrative Aufgaben, die vielleicht einmal jährlich gemacht wurden. Es ist eines der grössten Risiken für Start-ups und Kleinunternehmen, dass man nur am Jahresende sieht, wie man gewirtschaftet hat. Studien haben gezeigt, dass Start-ups sehr oft an mangelndem Cash ow scheitern. Mit einer gezielten Investition in ein modernes System kann ein kleines Unternehmen diese Risiken frühzeitig managen und minimieren.

Das Thema liegt Ihnen offensichtlich am Herzen.

Das tut es. Ich habe erlebt, wie meine Eltern abends und an Wochenenden arbeiteten, um sicher zu sein, dass sie die richtigen Rückstellungen für die Mehrwertsteuer tätigen. Und dann wurden sie Ende Jahr doch von den AHV-Beiträgen überrascht. Das ist heute dank guter Software nicht mehr der Fall.

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