Blockchains und Smart Contracts

Montag 29.08.2016 Dr. Daniel Burgwinkel
Dr. Daniel Burgwinkel

Dr. Daniel Burgwinkel ist Partner im Kompetenzzentrum Recordsmanagement und hat im Gebiet des Electronic Contracting mehr als 15 Jahre Projekterfahrung. Er hat über das Thema digitale Verträge an der Universität St. Gallen promoviert.

 

In der Fintech-Community wird intensiv über zukünftige Anwendungsfelder der Blockchain-Technologie diskutiert. Welche Arten von Blockchain-Plattformen sind im Aufbau und welches Potenzial bieten diese?

Blockchains gibt es viele: ein kleiner Überblick.

Mit dem Begriff Blockchain wird ein technisches Konzept bezeichnet, welches Daten nicht in einer zentralen Datenbank, sondern  auf den Systemen der Nutzer mithilfe von kryptographischer Verschlüsselung speichert. Das Wort «Blockchain» wurde gewählt, da die Daten in einzelnen Blöcken gespeichert werden, welche dann verteilt auf den Systemen der Netzwerkteilnehmer abgelegt werden und die Reihenfolge der Blöcke anhand einer Kette dokumentiert wird.

Obwohl dies nur ein technisches Konzept ist, sind Experten der Meinung, dass dieser Ansatz die Geschäftsmodelle in verschiedensten Branchen, insbesondere in der Finanzindustrie, revolutionieren wird. 
Betrachtet man die heutigen Geschäftsmodelle von elektronischen Marktplätzen, zum Beispiel Börsenhandel oder Internetauktionen, so nutzen heute Verkäufer und Käufer eine zentrale Instanz für den Kauf- und Abwicklungsprozess, etwa eine Börsen- oder Auktionsplattform. Der Betreiber der Plattform koordiniert den Verkaufsprozess und garantiert die reibungslose Abwicklung des Geschäftes.

Die wesentliche Innovation von Anwendungen auf Basis der Blockchain-Technologie besteht in der Möglichkeit, dass Käufer und Verkäufer direkt miteinander interagieren und keinen zentralen Betreiber benötigen, welcher den Kauf- und Abwicklungsprozess kontrolliert und somit sicherstellt, dass der Käufer das Gut erhält und der Verkäufer den Preis bezahlt. In einem elektronischen Marktplatz auf der Basis von Blockchain würde der Kaufvertrag in der Blockchain mit digitalen Verschlüsselungsverfahren gespeichert; eine Manipulation des Vertrages könnte somit festgestellt werden. Die in der Blockchain hinterlegten Programmcodes würden dann automatisch die Bedingungen für die Vertragsabwicklung prüfen, etwa ob der Käufer den Preis für das Gut schon bezahlt hat.

Bitcoin – die erste Blockchainrevolution

Die zurzeit bekannteste Anwendung von Blockchain ist das digitale Zahlungsnetzwerk Bitcoin, welches im Jahr 2009 gegründet wurde. Die Teilnehmer können Zahlungen in der Kryptowährung Bitcoin direkt untereinander austauschen und müssen keine traditionellen Banken involvieren. Die Zahlungsinformationen werden verteilt auf den Systemen der Teilnehmer mit dem Blockchain-Ansatz gespeichert. Jede durchgeführte Transaktion ist somit im Register der Bitcoin-Blockchain einsehbar, so etwa, dass User A einen Betrag X an User B überwiesen hat. Im Gegensatz zum traditionellen Zahlungsverkehr müssen die Teilnehmer aber nicht ihre wahre Identität angeben, sondern können anstelle ihres Namens ein Pseudonym wählen. Mittlerweile ist ausserdem klar, dass die Blockchain-Technologie, insbesondere der Ansatz der verteilten Datenspeicherung, noch für viele weitere Szenarien verwendbar ist.

Blockchain – ein Hype in der Fintech-Welt?

Verschiedene Open-Source- als auch kommerzielle Softwareprojekte setzen das Blockchain-Konzept ein und suchen nach sinnvollen Anwendungsfeldern. Im wöchentlichen Rhythmus melden Banken und IT-Unternehmen neue Blockchain-Projekte. So hat beispielsweise Goldman Sachs im Dezember 2015 angekündigt, die Blockchain-Technologie für den digitalen Handel von Wertschriften einzusetzen, und Microsoft stellt Blockchain-Anwendungen in seiner Cloud zur Verfügung. Ende Dezember hat die Linux Foundation bekanntgegeben, dass sie gemeinsam mit Anwender- und Technologienunternehmen einen Blockchain-Standard auf Open-Source-Basis entwickeln will.

Die Blockchain-Ansätze von Nicht-Banken bedrohen die etablierten Geschäftsmodelle der Finanzinstitute. Deshalb versuchen die Fintech-Inkubatoren der Banken fieberhaft Anwendungsfelder zu besetzen, bevor branchenfremde Start-ups diese Chancen nutzen. Zum einem können mit der Blockchain-Technologie kostengünstige Alternativen zu Zahlungs- oder Handelssystemen aufgebaut werden. Im Jahr 2015 haben sich mehr als zwanzig globale Banken zu einer Initiative zusammengeschlossen, um im sogenannten R3 CEV Konsortium die Entwicklung voranzutreiben.
Zum anderen kann die Blockchain-Technologie genutzt werden, um gänzlich neue Use Cases zu realisieren, wie etwa die Abwicklung von digitalen Verträgen, neuartige Verfahren zur dezentralen Beurkundung von geschäftsrelevanten Informationen oder die Speicherung sensitiver Gesundheitsdaten.

Offene und geschlossene Blockchain-Plattformen

Blockchain-Plattformen kann man in zwei Kategorien unterscheiden. Zum einen gibt es offene Plattformen, auch Public Blockchains genannt, bei denen sich jeder User anmelden und die Dienste nutzen kann. Zum anderen gibt es geschlossene Netzwerke, sogenannte private Blockchains, auf welche nur definierte Teilnehmer, beispielsweise Unternehmen einer bestimmten Branche, Zugriff haben.

Bei der Bitcoin-Blockchain handelt es sich um eine Public Blockchain, das heisst, neue User können sich dem Bitcoin-Netzwerk anschliessen. Es lassen sich aber auch Use Cases für private Blockchains aufbauen, wie etwa für den Einsatz in einem geschlossenen Branchennetzwerk.

Eine weitere Unterteilung von Blockchain-Anwendungen kann anhand des Einsatzzweckes getroffen werden. Hier unterscheidet man Blockchains, die genau einen Anwendungszweck haben und Blockchains, welche sich für verschiedenste Use Cases nutzen lassen.

Im Bitcoin-Netzwerk wird der Blockchain-Ansatz für einen dedizierten Use Case genutzt, nämlich um eine digitale Währung zu erschaffen (Single Purpose). Ein Beispiel für eine Blockchain-Plattform, auf der sich verschiedenste Use Cases realisieren lassen, ist die Initiative Ethereum, die 2014 als Non-Profit Organisation ins Leben gerufen wurde und in Zug angesiedelt ist. Ethereum bietet eine Blockchain sowie die dazugehörige Software an, mit deren Hilfe die Teilnehmer eigene Programme und Smart Contracts für verschiedenste Einsatzwecke entwickeln können.

Smart Contracts

Die vertraglichen Vereinbarungen zweier oder mehrerer Parteien können in einer Blockchain gespeichert und vollständig digital abgewickelt werden. Ein digitaler Vertrag dokumentiert die Vereinbarung der Parteien beispielsweise für den Kauf eines digitalen Produktes. In der Blockchain sind die Vertragsklauseln in maschinenlesbarer Form dokumentiert und können zudem beim Eintreten der Vereinbarung sofort vom Computersystem regelbasiert ausgeführt werden. Das Netzwerk Ethereum unterstützt Smart Contracts. Solche Verträge sind insbesondere für Geschäfte interessant, bei denen sich Käufer und Verkäufer nicht kennen, beispielsweise bei einer kurzfristigen Wohnungsvermietung. Somit könnten Smart Contracts auch etablierte Internet-Player wie AirBNB konkurrenzieren. 

Zukünftige digitale Notariatsdienste auf Basis einer Blockchain können Besitzverhältnisse wie etwa Grundbucheinträge beurkunden. Es gibt bereits Projekte, die Blockchains nutzen wollen, um Grundbuchämter in Entwicklungsländern wie Honduras aufzubauen.

Fazit und Ausblick

Bei Start-ups im Kontext der Blockchain-Technologie herrscht Aufbruchstimmung, da ausgewählte Player in kurzer Zeit Venture Capital akquirieren konnten. So wurden allein im letzten Quartal 2015 gut zwanzig Start-ups in diesem Feld mit rund 80 Millionen Dollar ausgestattet. Zudem zeigen die Partnerschaften mit globalen Softwareanbietern wie Microsoft und der Linux Foundation, dass auch etablierte Technologieanbieter das Blockchain-Konzept ernst nehmen. Auch die globalen Banken haben das Thema für sich entdeckt. Die Vielzahl der potenziellen Einsatzgebiete zeigt auch, dass Blockchains und Smart Contracts nicht nur zu Umbrüchen bei Banken und Versicherungen führen können, sondern der Einsatz in allen Branchen für neue Geschäftsmodelle sinnvoll sein kann. Voraussetzung ist aber, dass nachhaltige Anwendungsszenarien gefunden werden und die Blockchain-Technologie die Performance- und Sicherheitsanforderungen erfüllt. Insbesondere im Business-to-Business-Bereich können Blockchains einen Beitrag leisten, um Netzwerke für digitale Verträge aufzubauen, welche bisher nicht durch traditionelle EDI (Electronic data interchange) oder B-2-B-Marktplätze abgedeckt wurden.

Vorteile von Blockchain anhand eines fiktiven Beispiels

Angenommen eine Umweltorganisation will ein weltweites Netzwerk aufbauen, um die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen zu messen und sicher abzuspeichern. Grund hierfür ist, dass die Manipulation der Abgaswerte durch die Autohersteller das Vertrauen der Endverbraucher erschüttert hat. Die Umweltorganisation will nun aufzeigen, dass die Community durch ein verteiltes Netzwerk auf einer Blockchain-Plattform in der Lage ist, die objektiven Fakten für jeden zugänglich zu machen. Messwerte lassen sich nämlich bei jedem Werkstattbesuch erfassen – also jenseits der offiziellen Abgasmessung auf dem Prüfstand. Jeder Teilnehmer würde diese quasi privat ermitteln lassen und die Ergebnisse über Internet in die Blockchain abspeichern. Ein Smart Contract würde die Eingaben prüfen und bei Überschreitung der Messwerte Warnmeldungen erzeugen. 

In diesem fiktiven Beispiel könnte die Organisation in relativ kurzer Zeit das Netzwerk auf einer bestehenden Blockchain-Plattform wie Etherium realisieren und muss keine Investitionen in einen zentralen Server in einem Hochsicherheitsrechenzentrum tätigen. Die Integrität und Verfügbarkeit der Daten ist zudem durch die Nutzung einer Blockchain sichergestellt, wodurch die Daten nicht nachträglich durch Dritte geändert werden können. Zudem ist jede Transaktion, sprich Eingabe von Messwerten, nachvollziehbar und einsehbar.

Welche Use Cases werden Erfolg haben?

Die wirkliche Innovationskraft der Blockchain-Technologie wird erst deutlich, wenn man konkrete Anwendungsbeispiele betrachtet. Um einen Blockchain Use Case zu analysieren sind folgende Fragen hilfreich:

  • Wer sind die Teilnehmer des Netzwerkes und welchen Nutzen haben die Enduser von der Blockchain-Technologie? 
  • Wie interagieren die Teilnehmer im Netzwerk und welche Rollen (Käufer, Verkäufer etc.) gibt es?
  • Was steht im Mittelpunkt der Anwendung? Ist es z.B. eine digitale Währung, ein Vertrag oder die Beurkundung eines Sachverhaltes?
  • Wieso wollen die Teilnehmer Blockchain einsetzen und nicht eine traditionelle Technologie? Welcher Vorteil ergibt sich durch das Auslassen der bisherigen zentralen Instanz, welche die Marktteilnehmer koordinierte und das Vertrauen garantierte? Welches Geschäftskonzept verfolgt der Gründer eines Blockchain-basierten Marktplatzes?
  • Weshalb bietet Blockchain im Anwendungsszenario technische Vorteile?
  • Warum wird sich die Blockchain-Anwendung etablieren? Wird der Use Case zu einer Alternative zu traditionellen Ansätzen oder bietet er einen komplett neuen Nutzen? 

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