Interview Félix Mauron: "Wir spüren einen Wandel"

Montag 02.11.2015 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Seitdem das Thema Unternehmensverkauf vom Tisch ist, hat sich Abraxas Informatik neu positioniert. swiss made software sprach mit CEO Félix Mauron über die Strategie hinter den neuen Cloud-Produkten, die neuen Büros in Bern und Bellinzona sowie die Eigenheiten der Schweizer Verwaltungen.

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Félix Mauron Félix Mauron

Félix Mauron ist seit April 2013 CEO und seit 1999 Mitglied der Geschäftsleitung der Abraxas Informatik AG. Ausserdem ist er Verwaltungsratsmitglied der beiden Tochtergesellschaften. Vor seiner Position bei der Abraxas war er bereits CFO und Leiter der zentralen Dienste bei der Firma Hälg, einem mittelständischen Industrieunternehmen in der Ostschweiz. Nach einer Banklehre wechselte er in die Industrie und bildetet sich zum Experten für Rechnungslegung und 
Controlling weiter, gefolgt von einem Managementlehrgang.

Christian Walter: Herr Mauron, wie würden Sie Abraxas 2015 auf den Punkt bringen?

Félix Mauron: Als flexibler Künstler. Wir beherrschen den Spagat zwischen Kundennähe und standardisierten Dienstleistungen aus der Steckdose. Nur so kann man heute erfolgreich mit der öffentlichen Hand zusammenarbeiten. Denn auch hier stehen Effizienz- und Kostenüberlegungen im Vordergrund, die man nur durch den Einsatz moderner Technologie, also "as a Service", erbringen kann. Gleichzeitig sind die Themen häufig komplex und verlangen ein hohes Mass an Kenntnis der spezifischen Gegebenheiten und ein Eingehen auf Kundenspezifika.

Und das sind neue Eigenschaften bei Abraxas?

Nein, aber es ist sicher ein neues Level. Mit dem Abbruch des Unternehmensverkaufs durch unsere Eigentümer, die Kantone St. Gallen und Zürich, konnten wir durchstarten. Steckt man lange in so einem Prozess, können die daraus resultierenden Unsicherheiten zur Belastung werden. Das liegt jetzt hinter uns, und wir sind mit neuem Elan unterwegs. Das zeigen wir mit neuen Produkten wie TrustDrive.

TrustDrive ist ja eine Art Dropbox-Klon. Ist das denn wirklich innovativ?

Das ist weit mehr als ein Klon. Wir haben nicht einfach eine weitere Lösung mit vergleichbaren Funktionen realisiert. Wir fokussieren auf die Kernanforderungen unseres Zielmarktes. Will heissen: hohe Sicherheit sowie Datenhaltung in der Schweiz. TrustDrive ist die konsequente Umsetzung des Cloud-Gedankens für die Schweizer Behörden. Und hierfür müssen wir alle gesetzlichen Auflagen erfüllen. Innovation ist nicht die Neuerfindung des Rades, sondern es mit einem Gummimantel zu versehen. Mein Motto für die Abraxas lautet: Adopt, adapt, improve.

Und das erreichen Sie mit einer neuen Anwendung?

Nein, die Bedürfnisse der Nutzer gehen viel weiter. Unser TrustTalk stösst in dieselbe Richtung. Chat zu zweit, aber auch im Team, ist heute ein wichtiges Tool. Wir bieten den Service einfach ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Verwaltung an – verschlüsselt und betrieben in der Schweiz. Anwendungen wie diese sind Teil von dem, was wir als Arbeitsplatz der Zukunft sehen. Das muss man heute einfach bieten.

Was steht in ihrer Strategie über Kundennähe?

Seit Kurzem haben wir ein Büro in Bellinzona. Bald folgt der nächste Schritt: 2015 werden wir ein Büro in Bern eröffnen. So können wir unter anderem auch beim Bund stärker Präsenz zeigen. Diese Entwicklung wurde 2013 angestossen, als wir den Auftrag für das das Mobile Device Management des Bundes gewinnen konnten. Abraxas adressiert heute klar alle Verwaltungsgrössen auf kommunaler, kantonaler und Bundesebene.

Emanzipiert sich Abraxas damit von den Mutterkantonen?

Geschichtlich stimmt es zwar, dass Abraxas aus der Fusion der Informatikabteilungen der Kantone St. Gallen und Zürich hervorging und damit zunächst auf deren Bedürfnisse fokussiert war. Aber wir haben diesen Hafen schon längst verlassen. Unsere IT-Dienstleistungen erbringen wir heute für zahlreiche Kantone, beispielsweise Graubünden, für dass Tessin oder auch die Romandie. Zudem sind wir IT-Partner von Organisationen mit staatlichem Leistungsauftrag sowie einiger mittelständischer Unternehmen. Wir sind in allen Sprachregionen präsent und bieten unsere Leistungen auf allen Ebenen.

Mit den neuen Standorten und Technologien ist Abraxas bestens positioniert, auch neue Kundensegmente zu erschliessen. Ist das der logische nächste Schritt?

Nein, vorderhand wollen wir keine weiteren Domänen der öffentlichen Hand erschliessen. Unser Fokus liegt auf der Entwicklung von Fachapplikationen für die Bereiche Steuern, Bildung, Strassenverkehr und Rechtspflege. Hier gibt es genügend Möglichkeiten für Innovation. Nehmen Sie Cari, unsere Lösung für die Strassenverkehrsämter: Der Kanton Wallis ist ein sehr zerklüftetes Gebiet, mit vielen weit verteilten kleinen Ortschaften. Hier macht es Sinn, gewisse Transaktionen gleich beim Garagisten durchführen zu können. Ein entsprechendes Erweiterungsmodul zu unserer Fachapplikation Abraxas Cari ermöglicht dies. Oder auch Fahrzeugprüfungen mit Bleistift und Papier – das ist ein Ding von gestern. Wir geben den Prüfern ein Tablet in die Hand, und bei Abschluss der Prüfung ist der Vorgang erfasst und alle relevanten Daten stehen dem Fahrzeughalter sowie den Ämtern zur Verfügung.

Innovation ist teuer und Ihr potenzieller Kundenkreis eher klein. Wie gehen Sie damit um?

Produktentwickler brauchen so viele Kunden wie möglich. Nur so lassen sich Skaleneffekte erzielen. Mit 26 Kantonen gibt es natürlich klare Grenzen. Wir gleichen das mit Cleverness aus und setzen konsequent auf kostensparende Technologien wie die Cloud sowie generische Lösungsansätze. Auch wenn wir viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um die Cloud-Skepsis bei der öffentlichen Hand zu überwinden. Aber wir spüren einen Wandel in letzter Zeit. Vielleicht fasst die E-Government-Strategie allmählich Fuss in der realen Welt.

Was meinen Sie damit?

Es gibt zahlreiche Gremien für Standards – Suisse ID, eCH und so weiter. Wir sind hier überall vertreten. In einigen Bereichen gewinnen diese Standards nun doch an Boden. Das ist ein langwieriger Prozess. Allein ihre Ausarbeitung ist extrem aufwendig. Ausserdem muss der Beschaffungszyklus berücksichtigt werden. Die Behörden beschaffen nicht neu, nur weil jetzt ein Standard existiert. Es geht also alles etwas langsamer, als theoretisch denkbar wäre. Aber das liegt in der Natur der Sache. In gewisser Hinsicht ist das auch sehr schweizerisch.

Sie sehen also eine Entwicklung?

Ja, eindeutig. Ohne die Standards kann es keine Automatisierung und Industrialisierung geben. Der Kostendruck tut dann sein Übriges. Ein gutes Beispiel ist die Community Cloud für die Sozialversicherungsanstalten. Hier haben sich mehrere Ausgleichskassen und Sozialversicherungen zusammengeschlossen und eine Plattform geschaffen für den Betrieb gemeinsamer Anwendungen. Also Kostensenkung und Effizienzsteigerung durch Zusammenlegen und Umziehen in die Cloud. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch anderswo.

Gehören hierzu auch die 2,4 Millionen Franken aus dem sogenannten E-Gov-Turbo-Programm des Bundes?

Das ist zwar löblich. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man bei einem Investitionsvolumen von 2,4 Millionen Franken von einem Turbo sprechen kann.

Beim Thema Geld hört man auch immer wieder, dass die Schweiz zu teuer sei. Das gilt auch für Schweizer Cloud-Angebote. Wie stehen Sie dazu?

Die Schweiz ist teuer. Das hängt auch mit den hiesigen Auflagen und Anforderungen zusammen. Aber man muss sich einmal fragen, was man will. Auf der einen Seite wollen wir die Privatsphäre unserer Mitbürger schützen – unserer Familien, Freunde und Kinder. Auf der anderen Seite wird dann gejammert, dass alles in der Schweiz so teuer sei. Abraxas richtet sich nach den gesetzlichen Gegebenheiten, aber dass es die so gibt, ist Teil unserer Kultur. Die Herausforderung für uns und unsere Mitbewerber ist jetzt Lösungen zu finden, die unter Berücksichtigung der hiesigen Bedingungen das Maximum an Effizienz schaffen. Wie gesagt – adopt, adapt, improve. (Gespräch: Christian Walter, swiss made software)

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