Interview mit Geri Moll: "Freude ist die beste Arbeitsmotivation"

Samstag 01.02.2014 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

1984 gegründet gehört die Noser Engineering AG zu den alteingesessenen Marken des Schweizer ICT-Werkplatzes. Mit Kunden wie ABB, Siemens, Phonak oder Roche positioniert sich das Unternehmen als ICT-Dienstleister im Industrie- und Technologiesektor. Tätig ist es in fünf Kompetenzzentren: «Microsoft-Technologien», «Embedded- und Realtime-Systeme», «Java/Android» sowie «Testing» und «Project Management». Bei Android war man sogar an der Entwicklung beteiligt und baute für Google einen relevanten Teil der Software, insbesondere deren Core Libraries.

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Geri Moll

Geri Moll, Jahrgang 1962, ist Dipl. Ing. HTL und verfügt über einen Executive MBA HSG. Seit 1988 ist Geri Moll für Noser Engineering AG tätig und seit 1991 deren CEO. Zuvor arbeitete er in verschiedenen Tätigkeiten als Softwareentwickler.

Noser Engineering ist ausserdem der Nukleus der Noser Gruppe, eines der grösseren Schweizer ICT-Firmenkonglomerate. Dieses erzielt heute mit insgesamt rund 450 Mitarbeitenden etwas über 80 Millionen Franken Umsatz.

Christian Walter: Herr Moll, dank Noser Engineering ist ein relevanter Teil des Betriebssystems Android “Swiss made”. Bringt Sie das in die Pole Position, wenn es um neue Anwendungen geht?

Geri Moll: Zum Teil ja. Gerade für komplexe Entwicklungen bei grösseren Firmen sind wir attraktiv. Im technischen Umfeld entwickeln wir zum Beispiel für AMG Mercedes, Swisscom, Biral oder Rinspeed. Im kommerziellen Umfeld könnte man auch search.ch und Tourismus Schweiz nennen. Man muss jedoch bedenken, dass die Entwicklung von Applikationen auf Android eine ganz andere Disziplin ist als Entwicklungen im Betriebssystem selbst.

Warum gab es kein grösseres Echo in der Öffentlichkeit?

Die Öffentlichkeit interessiert sich weniger für Basis-entwicklungen im Betriebssystem als für die Anwendungen. Android ist heute eine Selbstverständlichkeit. Wo es herkam, ist sekundär. Das ist schade, gerade wenn man den Erfolg von Android sieht. Aber auch typisch Schweiz. Mit dem Verkaufen tun wir uns schwer. Ganz im Gegensatz zu den Amerikanern – die verkaufen die Idee schon, bevor das Produkt überhaupt läuft. Dem Schweizer Ingenieur ist das ein Graus. Das Produkt muss erst fertig sein und seinen Qualitätsansprüchen genügen.

Vielleicht sollte die Schweiz ein paar Marketingprofis importieren anstatt Ingenieure?

Gute Idee, gerade für den internationalen Markt. Die Schweiz ist Innovationsweltmeister und Vermarktungsamateur. Deswegen werden hier entwickelte innovative Ideen von anderen Firmen erfolgreich vertrieben. Wir können unsere Begeisterung nicht gut genug kommunizieren. Dabei spräche viel für ein internationales Marketing. Gerade wenn man die Skaleneffekte bedenkt, die beim Vertrieb in grossen Märkten möglich sind. Das kostet zwar, bringt aber auch entsprechende Verdienstmöglichkeiten.

Wie stark wirkt sich die anhaltende Wirtschaftskrise auf Ihr Geschäft aus?

Bisher nicht, im Gegenteil. Wir waren noch nie so erfolgreich wie 2011 und 2012. Deshalb verfolgen wir weiterhin einen Wachstumskurs. Gute Ingenieure stellen wir immer ein. Personalstopp ist bei uns beinahe ein Fremdwort.

Der Franken hat sich stark aufgewertet. Spüren Sie nicht den Druck der Offshorer?

Der starke Franken verschärft klar den internationalen Wettbewerb. Mittlerweile ist ein Euro nur noch 1,2 Franken wert. Früher waren es 1,5 oder 1,6. Das ist hart, war aber zu Zeiten der Franken/Euro-Parität deutlich schlimmer. Spurlos ist das nicht vorbeigegangen. Viele Firmen, die bisher lokal entwickelt und produziert haben, setzen jetzt ebenfalls auf Nearshoring. Das schmerzt. Trotzdem hat es die Schweizer Industrie geschafft, attraktiv zu bleiben. Das dürfte vor allem am hohen Qualitätsniveau liegen.

Hat „Swiss made“ nach wie vor seinen Wert?

Aber sicher. Wir arbeiten auch im Ausland und erhalten dort höhere Stundensätze als ortsüblich. Zwar nicht bei jedem Projekt, aber dort, wo es hohe Qualitätsansprüche gibt. Dazu kommt, dass Nearshoring nicht in jedem Fall zu Kosteneinsparungen führt. Man spricht von maximal zehn Prozent bei Grossprojekten. Kleinere und mittlere Projekte diesseits der 500’000 betrifft das nicht. Gerade bei kommunikationsintensivem, agilem Vorgehen kippt es sogar ins Gegenteil. Hier sind lokale Unternehmen mit engagierten, gut ausgebildeten Mitarbeitenden im Vorteil. Sie spüren meine Begeisterung – Swissness und somit auch swiss made software sind zu Recht starke Werte.

Ist das Schweizer Qualitätsdenken kulturell bedingt?

Zu einem gewissen Grad schon. Aber wir bieten auch Rahmenbedingungen, die diese Entwicklung fördern – zum Beispiel flache Hierarchien. Ausserdem erlauben und fördern wir Mitdenken und Mitwirken. Das reflektiert unser Motto „Technologie – Lebensfreude – Leistung“.

Lebensfreude schreiben sich tatsächlich wenige Unternehmen auf die Fahne.

Ja, wir schon, für uns ist diese Philosophie wichtig. Wir sind überzeugt, dass der Mensch nur dann leistungsfähig sein kann, wenn er mit sich selbst in Einklang steht. Dafür braucht es neben der Arbeit einen Ausgleich. Man muss und soll das Leben geniessen können, dann hat man auch Freude an der Arbeit. Und Freude an der Arbeit ist die beste Motivation. Das Ziel eines Unternehmens kann es deshalb nicht sein, dass Mitarbeitende 16 Stunden am Tag arbeiten und 24 Stunden erreichbar sind.

Dabei gilt doch gerade Informatik als Stressjob.

Ich beneide manchmal den Lokführer, der – im Gegensatz zu uns – seine Arbeit nicht mit nach Hause nehmen kann. Und für einen Entwickler ist es tatsächlich schwer, abends abzuschalten. Ein ungelöstes Problem lässt ihn nicht los. Aber das gilt heute ja für viele Berufe.

Was die Arbeitgeber dann schamlos ausnützen könnten?

Informatiker gehören schon zu einer Spezies, deren Mitglieder um 22 Uhr vom Bildschirm aufschauen, um erstaunt festzustellen, dass sie nicht allein da sitzen. Wir bemühen uns deshalb, hier gleichfalls eine etwas andere Kultur vorzuleben. Ich plädiere dafür, dass man bei der Arbeit Freude hat, begeistert und begeisternd ist. Dann spielt es auch keine Rolle, ob man 40 oder 60 Stunden arbeitet. So sind wir – und mit uns natürlich ein Grossteil der Schweizer Industrie – nicht nur gut genug: Wir sind gut bis sehr gut.

Noser Engineering entwickelt nicht nur im Android-Umfeld, sondern für alle gängigen mobilen Plattformen. Sehen Sie denn eine Zukunft für Windows Phone?

Windows Phone steht global mittlerweile auf Rang drei. Zugegebenermassen liegt der Marktanteil noch unter vier Prozent, aber ich meine, es wird seinen Weg gehen. Bedenken wir, dass Android ebenfalls schon fünf Jahre alt ist. Microsoft setzt sich stark ein, unter anderem durch eine weltweite Kampagne für Businesslösungen. Als Gold-Partner spielen wir hier eine wichtige Rolle und sind ausserdem strategischer Partner für Business-Apps. Neben Skype, Twitter und anderen weltbekannten Apps finden Sie deswegen auch unsere Lösung für Schweiz Tourismus auf der offiziellen Microsoft-Seite zum Windows 8.1 Preview.

Mit Android sind Sie in die Automobilbranche vorgedrungen. Werden Apple und Microsoft folgen?

Der Automobilbau ist dominiert von grossen Stückzahlen und damit vom Interesse an tiefen oder wegfallenden Lizenzkosten. Für Android spricht, dass es Open Source ist. Automobilhersteller sind stark an uneingeschränkten Anpassungsmöglichkeiten interessiert. Das fängt an beim Anschluss von Sensoren und Aktuatoren oder der Gestaltung eigener UIs. Darüber hinaus sind Updates nach Ermessen und Bedürfnissen möglich. Das kann nur Android.

Welche anderen Branchen stehen vor einer Invasion durch Android?

Ich kann mir keine Brancheneinschränkung vorstellen – Home Entertainment, Gebäudeleittechnik, Transportwesen, Medizinaltechnik. Hier trifft der Android-Boom auf den Trend zum Internet der Dinge. Also der vielzitierte selbstbestellende Kühlschrank oder Dinge wie selbstregelnde Lichter und selbstübermittelnde Messwerte und Steuerung für Smart Grids oder Smart Homes.

Sehen Sie noch andere grosse Trends?

Ich denke, aus der Kombination vom Internet der Dinge und den grossen Datensammlungen werden ganz neue Entwicklungen kommen. Bei Letzterem sehen wir gerade den Wechsel weg von grossen Aggregaten hin zu Individualdaten. Also weg von “wie viele Autos fahren auf der A1?” zu “wer fährt da und wie oft tippt er auf die Bremse?”. So kann man Staus nämlich schon bei ihrer Entstehung feststellen.

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