Teilen ohne zu teilen: Daten ­schützen und trotzdem verwerten

Mittwoch 19.01.2022 Thomas Brenzikofer
Thomas Brenzikofer

Thomas Brenzikofer ist stellvertretender Geschäftsführer von i-net innovation networks und Member of the Board bei swiss made software.

Mit ihrer Verschlüsselungssoftware der dritten Generation ermöglicht Tune Insight eine sichere Datenkollaboration, und zwar auch für Unternehmen und Organisationen, deren eigener Datenpool zu klein ist.

Das Gründer-Team von Tune Insight (v.l.n.r.): Juan Troncoso Pastoriza, CEO; Romain Bouyé, Head of Software; Frederic Pont, COO sowie Jean Pierre-Hubaux, Professor und Leiter des Laboratory for Data Security an der EPFL. (Quelle: Tune Insight)

Dass Daten der Rohstoff der Zukunft sind, ist inzwischen zur Plattitüde geworden. Umso erstaunlicher ist es, dass das Potenzial des Datenbergs immer noch weitestgehend unausgeschöpft bleibt. Dies liegt in der Natur der Sache. So liegen die Daten selten an einem Ort. Um aber aus Daten Kenntnisse zu schöpfen, die letztlich neue digitale Services ermöglichen, braucht es eine kritische Masse. Und diese wird, mit Ausnahme von den einschlägigen Plattformen und grossen Weltkonzernen, selten erreicht.

Marktforscher gehen auch davon aus, dass mehr als die Hälfte der Organisationen und Unternehmen nicht über genügend eigene Daten verfügen. Damit bleiben sie notgedrungenermassen von der digitalen Zukunft abgeschnitten. Es sei denn, sie können ihre Daten zusammen mit denjenigen von anderen Anbietern aggregieren. Allerdings ist dies einfacher gesagt als getan. Der Datenkollaboration stehen einige Hürden im Weg. Allen voran gibt es Regulierungen, diese betreffen vor allem den Schutz der Privatsphäre des Individuums. Des Weiteren sind Daten hochsensibel, da sie oft Geschäftsgeheimnisse und Information, die Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten, enthalten. Somit gilt in vielen Bereichen die Policy, dass Daten die Firma oder die Organisation nicht verlassen dürfen, und wenn, dann nur durch hochsichere Datenübertragungsportale.

Daten kollaborativ und sicher nutzen

De facto wird dadurch die Zusammenführung von Daten verhindert, vor allem in Bereichen, in denen Datenanalysen Wunder vollbringen könnten: Etwa im Gesundheitssektor, aber auch im Bereich der Cybersicherheit sowie im Versicherungs- und Finanzwesen. Gerade hier verspricht das EPFL-Spin-Off Tune Insight Abhilfe. Ihre gleichnamige Swiss-Made-Software-Lösung ermöglicht nämlich gerade dies: Die sichere Datenkollaboration, bei der weder die Sensitivität noch die Privatsphäre beeinträchtigt wird.

Hierfür verwendet das Start-up eine neuartige, patentierte Verschlüsselungstechnologie, die am EPFL Laboratory for Data Security von den Gründern Juan Troncoso Pastoriza (CEO), Romain Bouyé (Entwicklungsleiter), sowie dem Lab-Leiter Prof. Jean-Pierre Hubaux entwickelt wurde. Diese eher akademische Truppe komplettiert der erfahrene IT-Industrieexperte Frederic Pont als COO.

Juan Troncoso Pastoriza erklärt die Funktionsweise von Tune Insight so: «Die erste Generation von Verschlüsselungssoftware hatte das Ziel, die Datenbank hinter einer Wand in Sicherheit zu halten. Die zweite Generation fokussierte sich auf den sicheren Transfer der Daten von A nach B. Wir bieten nun die dritte Generation an: Wir können die Datenpunkte sozusagen kryptographisch einkapseln und so prozessierbar machen.» Mit anderen Worten: das Verfahren schützt die Daten vor Missbrauch, ermöglicht aber dennoch das Durchführen von Rechenoperationen, und zwar im verschlüsselten Zustand der Daten.

Umgesetzt wird dies, indem Tune Insight Software bei dem Kunden On-Premise installiert. Die Verschlüsselung und Schutz der Daten geschieht somit vor Ort und ohne das Unternehmen physisch zu verlassen. Die Daten werden dann mit weiteren Daten aus anderen Quellen aggregiert. Die Datenkollaboration wird also nicht in einem einheitlichen Topf zusammengeführt, vielmehr erfolgt die Analyse und Prozessierung dezentral.

Datenkollaboration im Gesundheitssektor

Der Parade-Use-Case für Tune Insight findet sich im Gesundheitssektor. Spitäler, die jedes für sich eine zu geringe Fallzahl in einem gewissen Krankheitsfeld aufweisen, können ihre klinischen Behandlungsdaten mit anderen kombinieren und so die kritische Masse erreichen, die es braucht, um relevante Aussagen zu machen, die dann zu Verbesserungen in der Therapie führen.

Wenig überraschend ist deshalb, dass die Software des EPFL-Spin-Offs derzeit in einem Projekt des Swiss Personalized Health Network (SPHN) zum Einsatz kommt. Diese mit Forschungsgeldern des Bundes ausgestattete Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Datenkollaboration im Verbund der Schweizer Universitätsspitälern zum Laufen zu bringen. Für den Pharma- und Medizinaltechnologiestandort Schweiz ist dies von strategischer Bedeutung, droht man ansonsten doch als kleines Land gegenüber etwa den asiatischen Datentigern oder auch den grossen Plattformen (GAFAS) global den Anschluss zu verlieren.

Mit dem Piloten der SPHN im Rucksack erhofft man sich, auf dem Markt schnell Fuss zu fassen. Diesen gilt es allerdings erst aufzubauen. Denn tatsächlich bewegt man sich hier in einem neuen Terrain und die Frage wird sein, wie schnell sich der Markt für Datenkollaborationen von derzeit fast Null auf hundert entwickeln kann. Dass dieser sich entwickelt, steht für Frederic Pont indes ausser Frage: «Das jetzige Paradigma sieht vor, dass Daten an einem Ort akkumuliert werden, doch dies wird für viele Bereiche realistisch betrachtet niemals möglich sein, gerade etwa für vertrauliche oder regulierte Daten.» Und auch nicht wünschenswert, würde man gerne anfügen.

Gerade im Gesundheitssektor, insbesondere in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten, dürfte auf Tune Insight ein riesiges Potenzial warten. Dabei sind zwei Trends zu beobachten: Erstens gilt es vor allem, die Entwicklungszeit eines Medikaments zu verkürzen. Hierbei könnten Datenkollaborationen wesentlich dazu beitragen, klinische Studien sehr viel effizienter zu gestalten. Zudem eröffnet die Integration weiterer, bislang nur schwer zugänglicher, aber höchst gesundheitsrelevanter Daten völlig neue Forschungsgebiete und Therapiemöglichkeiten.