Müsste sich unser Land digital selbst versorgen können?

Donnerstag 28.04.2022 Thomas Brenzikofer
Thomas Brenzikofer

Thomas Brenzikofer ist stellvertretender Geschäftsführer von i-net innovation networks und Member of the Board bei swiss made software.

Die Schweiz verfügt über einen starken ICT-Werkplatz. Daraus könnte und müsste die Schweiz mehr machen. Insbesondere im Hinblick auf die Wahrung oder gar Wiedererlangung der digitalen Souveränität.

Zuerst die Pandemie und jetzt der Krieg haben vor Augen geführt, was in Zeiten der friedlichen Globalisierung unter dem Radar blieb: Wirklich souverän kann praktisch kein Land mehr auf der Welt agieren. Die Frage ist einzig, wer von wem abhängig ist und welcher Preis dafür zu zahlen ist. In den Informations- und Kommunikationstechnologien zeigt sich das Bild ganz besonders akzentuiert: Die Hardware liefert der totalitäre Osten, die Software bringt uns der wilde Westen ins Haus, vermehrt nur noch über die Datenleitung.

Solange Geräte samt Software physisch installiert und betrieben wurden – ältere Jahrgänge erinnern sich noch an diese Zeiten —, war dies im Hinblick auf die Abhängigkeit und Sicherheit noch weniger problematisch. Die Kontrolle über die technische Infrastruktur lag in den eigenen Händen. Anders in der Cloud: Dort sind es unbekannte Hände, welche die Nutzungsbestimmungen diktieren, jederzeit in den Prozess eingreifen können und notfalls gar den Stecker ziehen.

Während die Cloud technisch und wirtschaftlich gesehen unbestritten sinnvoll ist, haben die jüngsten Ereignisse gezeigt, dass die Welt nicht nur, und sogar immer weniger, nach der ökonomischen Logik funktioniert. Dabei war schon länger festzustellen, dass es in der Welt der Superscaler und Megaplattformen, zusehends darum geht, Marktkräfte auszuschalten und den zum User degradierten Anwender in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen.

Ob Individuum, Unternehmen oder Staat: Tatsache ist, dass mit der zunehmenden Digitalisierung unsere Souveränität – oder zumindest wenigstens die Wahl zu haben, über die digitale Zukunft selber zu bestimmen – vermehrt auf dem Spiel steht. Die Frage ist, ob dies einfach so hinzunehmen ist, oder ob man sich, als Bürger, Unternehmen und Staat, nicht gegen die digitale Kolonialisierung zur Wehr setzen sollte und zumindest gewisse, neuralgische Bereiche im Sinne der digitalen Souveränität umgestalten müsste.

Vier Handlungsfelder

Wie auch immer diese digitale Umgestaltung auszuführen ist – ob per Gesetz, Selbstregulierung, Steuern oder Subventionen –, so sind es insbesondere vier Handlungsfelder, die einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollten:

  • Digitale Selbstversorgung: Es besteht kein Zweifel, dass die ICT eine strategische Ressource ist. Deshalb gilt es, die Abhängigkeit von externen Lieferanten zu reduzieren. Dies gelingt entweder durch Kommodifizierung, also Schaffung von Alternativen, oder durch Erhöhung des Eigenfertigungsgrades.
  • Datenhoheit: Die zunehmende und vollständige Digitalisierung von Prozessen im Handel, in der Kommunikation, aber auch in der medizinischen Versorgung sowie im Bildungswesen, bringt nicht nur Effizienzgewinne, sondern produziert eine Unmenge an Daten. Diese sind der Rohstoff für die Informationsgewinnung, welche zusehends die Wertschöpfung treibt. Doch gerade diese Wertschöpfung wird so lange abgeschöpft werden, wie die nationale Datenhandelsbilanz negativ ist. Das muss zu denken geben.
  • Cybersecurity: Bits und Bytes machen vor dem Grenzschutz nicht halt. Entsprechend befindet sich die digitale Kriminalität auf dem Vormarsch. Dabei stehen nicht nur private Assets auf dem Spiel, im Visier ist vermehrt auch die nationale Sicherheit. Effektiver Schutz wird letztlich nur mögliche sein, wenn die Kontrolle über die digitale Infrastruktur vollkommen in den eigenen Händen liegt.
  • Privacy: Demokratie funktioniert nur mit mündigen Bürgern, deren Persönlichkeitsrechte jederzeit gewährt sind. Verletzungen der Privatsphäre, Desinformation und Manipulation sind im Digitalen Zeitalter kaum mehr Grenzen gesetzt. Deshalb braucht es einen klaren rechtlichen Rahmen und vor allem auch harte Sanktionen bei Überschreitungen. Beides ist letztlich nur möglich, wenn die Jurisdiktion dort erfolgt, wo das Angebot bezogen wird. 

Die Alternativen sind da

Bei allem politischen Willen, der sich hier und da löblicherweise am Formieren ist, der Staat allein wird es nicht richten können. Garant für die Digitale Souveränität ist letztlich einzig und allein ein starker ICT-Werkplatz. Darüber verfügt die Schweiz. Das ist ein Glück. Denn wenn es den Schweizer Bürger dereinst – hoffentlich – nicht mehr egal ist, dass sich ihr Spross über die proprietäre Plattform eines Digital-Oligarchen mit seinen Lehrkräften austauscht, dann muss der Markt auch eine Schweizer Alternative bereithalten. Dasselbe gilt für Systeme im Gesundheitswesen, im Bevölkerungsschutz und vieles mehr.

Ein Blick auf www.swissmadesoftware.org zeigt: Vieles, wenn nicht das meiste, ist heute schon vorhanden. Und was fehlt, kann am 22. Juni anlässlich des «Topsoft Hack powered by Swiss Made Software» ertüftelt werden. In enger Zusammenarbeit mit einem Konsortium führender Schweizer Softwareanbieter werden Entwickler und Tech-Enthusiasten eingeladen, im Rahmen eines Hackathons tragfähige Lösungen zu entwickeln (oder bestehende zu tweaken), welche die digitale Souveränität der Schweiz befördern.