Google für die chemische Industrie

Mittwoch 06.05.2020 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Chemberry will als Matchmaker von chemischen Inhaltsstoffen die Digitalisierung der ­chemischen Industrie vorantreiben.

"Wir wollen Google für die chemische Industrie sein", so Susanna Groth von Chemberry. Das Basler Start-up hat eine Plattform geschaffen, die als Schnittstelle zwischen Herstellern und Verarbeitern chemischer Inhaltsstoffe dienen soll.

"Zurzeit ist die chemische Branche noch von der vordigitalen Welt geprägt", so Groth. Einkäufer und Hersteller treffen sich häufig auf Messen, persönliche Kontakte sind zentral. Doch die Zeichen stehen auf Veränderung. In der Branche möchte man auf keinen Fall, dass sich Firmen wie Amazon und Alibaba als Vermittler positionieren.

Kein Wunder hat Chemberry seinen Ursprung bei Clariant: Um die Bedürfnislage zu klären, wurden 2018 Interviews mit Branchenvertretern geführt. Dabei kam heraus, dass die digitalen Alternativen zur bisherigen Kontaktherstellung mangelhaft waren. "Sucht man auf Google kosmetische Inhaltstoffe wie Aloe Vera oder Active Ingredients, wird es aus Industrieperspektive ab Seite 12, 18 oder 24 interessant", so Groth.

Anti-Aging oder Anti-Wrinkle

Dies auch, da die Hersteller ihre Produkte im Web schlecht dokumentieren. Chemberry investierte deswegen viel Zeit in die Entwicklung von Wörterbüchern und relevanten Suchkriterien. "Anti-Aging wird gern mal unterschiedlich geschrieben. Manche verwenden auch Synonyme wie Anti-Wrinkle", erklärt Groth.

Genauso relevant waren die Suchkriterien. Je nach Anwendung ist Inhaltsstoff nicht gleich Inhaltsstoff. Beispiel wieder Aloe Vera: Soll es ein reines Pflanzenextrakt sein oder ein Wirkstoff, der schon die Hautstruktur verändern kann? Verbinden sich damit Attribute wie feuchtigkeitsspendend oder hautberuhigend? Ist er nachhaltig? Gibt es Zertifikate? Soll er in ein Shampoo oder eine Sonnencreme? Ist der Zulieferer gross genug, um die gewünschten Mengen liefern zu können? Zugriff auf diese Informationen bietet Chemberry mit ein paar Klicks. Die Kunden können ausserdem Shortlists anlegen und einzelne Produkte vergleichen. Zurzeit finden sich über 30’000 Inhaltsstoffe von über 500 Unternehmen auf der Plattform.

Chemberry sammelt die nötigen Daten via Crawler. "Händisch würden wir nie fertig", erklärt Groth. Ihr Team ist für die Auswahl der relevanten Webseiten zuständig. Leider fehlen immer wieder wichtige Informationen zu einzelnen Inhaltsstoffen. Dies auch, da sie einfach nicht im Web stehen. Deswegen gibt Chemberry Herstellern mittlerweile die Möglichkeit, die eigenen Informa­tionen zu editieren. "Anfangs haben wir das bewusst vermieden. Es sollte nicht aussehen, als ob wir die Arbeit an unsere Kunden auslagern", betont Susanna
Groth.

Inhaltsstoffe sind trendgetrieben

Ausserdem musste das Angebot zu Beginn bereits möglichst umfassend sein, um im Markt ernst genommen zu werden. "Wir gehen schrittweise vor. Allein Personal Care war sehr umfangreich. Jetzt haben wir Home Care dazu genommen", erklärt Groth.

Chemberry sieht sich in erster Linie als Matchmaker, nicht als Kommunikationsplattform, und verdient aktuell sein Geld über die generierten Leads. Firmen können ausserdem ein Abonnement mit den Analyse-Ergebnissen der Plattform lösen. "Der Beauty-Bereich ist sehr trendgetrieben. Welche Substanzen gerade gesucht sind, ist eine wertvolle Information", so Groth. Gleichzeitig sind der Fokus auf Personal und Home Care smarte Marketing-Entscheidungen. "Beide Sektoren sind sehr geschichtenorientiert. Das erlaubt uns, mit interessanten Informationen zu punkten und auf uns aufmerksam zu machen. Zum Beispiel auf unserem Blog", meint Groth.

Chemberry hat zurzeit etwa 20 Mitarbeiter. Dabei kommt die technische Entwicklung von der Basler Firma Karakun, der Business Lead aber aus dem eigenen Haus. "Wir haben uns bewusst für Basel entschieden. Die Kombination aus Swiss Made in der Entwicklung sowie das tiefe Know-how, das wir hier am Chemie- und Life-Sciene-Hub haben, ist ein grosses Plus für unsere Kunden".