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Neues Ökosystem-Denken für Technologiemärkte

Monday 26.10.2015 Reinhard Riedl
Reinhard Riedl

Leiter des transdisziplinären BFH-Zentrum Digital Society und Vizepräsident der Schweizer Informatik Gesellschaft

Viele Märkte können ohne staatliches Engagement gar nicht entstehen – für die US-Amerikaner noch nie ein Problem. In der Schweiz hingegen ist das entsprechende politische Ökosystem-Denken neu.

Fast immer hat grosser regionaler Wirtschaftserfolg mit staatlichen Investitionen zu tun. Bestes Beispiel dafür: das Silicon Valley.

Dass in der Schweiz genügend Bewusstsein für den Sinn der Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft im Technologiebereich existiert, ist fraglich. Häufig findet sich zu viel Eigenbrötlerei und zu wenig Mut zur Exzellenz. Denn obwohl es ein vom Bund priorisiertes E-Government Vorhaben «Cloud Computing» gibt, sorgte ein Credit-Suisse-Mann am letzten E-Government-Symposium für Konster-nation, als er zum Thema sprach. Zum einen, weil viele der Anwesenden die Verbindung zwischen E-Government und Cloud Computing nicht sahen; zum anderen, weil ein Vertreter der IT-Nutzer in der Privatwirtschaft an einem E-Govern-ment-Anlass auftrat.  

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn dann an anderer Stelle dafür geworben wird, Verwaltungsdaten in die USA zu geben, anstatt eine Economy-of-Scale nutzende Schweizer Verwaltungscloud zu schaffen. So geschehen im Haus der Kantone, an einer Veranstaltung der Schweizer Akademie der Technischen Wissenschaften zum Thema Cloud Computing.

Rolle der öffentlichen Verwaltung

Diese Beispiele stehen symptomatisch dafür, dass in der Schweiz die Rolle des Staates für die Entwicklung von Technologiemärkten kaum thematisiert wird. Dabei ist der Staat potenziell zentral – sei es als Auftraggeber für Innovation, sei es als deren prominenter Erstkunde, sei es durch Private-Public-Partnerships oder auch als Träger von Innovation selbst.Wer der Verwaltung aus liberaler Über-zeugung grundsätzlich die Rolle der Innovationsförderin verwehren will, sollte bedenken, dass es den idealen Markt ebenso wenig gibt wie den Homo oeconomicus. Beide sind nur ein theoretisches Ideal – nicht mehr und nicht weniger. Das Zusammenballen grosser Wirtschaftskraft ist empirisch-wissenschaftlich betrachtet selten das Produkt eines freien Marktes. Und die Menge der Technologiefirmen, welche auf rationale Kunden gesetzt haben und untergegangen sind, ist unüberschaubar. Im Gegenteil: Fast immer hat grosser regionaler Wirtschaftserfolg mit staatlichen Investitionen zu tun. Das Silicon Valley etwa ist ein Abfallprodukt der Weltraumprogramme. Die US-Dominanz im IT-Markt hat hier ihren Ursprung. Ähnliches gilt für die Greater Boston Area, eine Region, welche bei fast gleicher Einwohner-zahl eine wesentlich höhere Wirtschaftskraft besitzt als die Schweiz. Sie profitiert wie das Silicon Valley vom engen Zusammenspiel von Wirtschaft, Verwaltung und Hochschulen, das heisst von der sogenannten Triple Helix. Richtig umgesetzt führt diese unter anderem zu einer vernünftigen Regulierung, klärt die Prioritäten in der Ausbildungspolitik, verhindert teure staatliche Fehler bei der Technologienutzung und ermöglicht eine schnelle, breite Streuung von Innovationen.

Komplexe Marktzusammenhänge

Tatsächlich haben wir es in vielen Branchen mit komplexen soziotechnischen Ökosystemen zu tun, deren Entwicklung durch ein Zusammenwirken von technischen, sozialen und oft auch rechtlichen Einflussfaktoren gesteuert wird. Gerade in Technologiemärkten bestehen grosse Ab-hängigkeiten, und der Wert eines Produkts hängt stark vom Vorhandensein anderer Produkte, von der Menge und Reputation der Kunden sowie von staatlichen Regulierungen ab. Darüber hinaus werden die sozialen Auswirkungen von Marktentwicklung ebenfalls stark durch (Nicht-)Regulierungen bestimmt.Nehmen wir die sinkenden Kosten für die Analyse des menschlichen Genoms: Ohne klare Richtlinien für die Verwendung die-ser Daten durch Dritte werden Menschen mit schlechten Genen viele Probleme haben. Auch wenn theoretisch niemand gezwungen ist, seine Gene dem Arbeitgeber oder Versicherer offenzulegen – am Ende gibt es ganz einfach Vergünstigungen für jene, welche dies tun. Alle anderen werden bestraft.

Ähnlich wichtig ist staatliches Handeln für Kommunikations- und Reiseinfrastrukturen, die ein wesentliches Element für Chancengleichheit in unserer Gesellschaft darstellen. Sind Branchen also soziotechnische Ökosysteme, hat es der Staat in der Hand, ihre Entwicklung so zu fördern, dass alle gesellschaftlichen Stake holder davon profitieren können – abgesehen von etwaigen Sondergruppen wie Monopolisten. Die Vermeidung sozialer Unfairness ist dann genauso Resultat wie Effizienzsteigerungen in der Wirtschaft. Voraussetzung dafür ist, dass die konkreten Ökosysteme vernünftig modelliert und die Auswirkung strategischer Handlungsoptionen analysiert werden. Lassen Sie mich nachfolgend drei ökonomische Handlungsoptionen des Staats im Softwaremarkt skizzieren, die von der Politik unbedingt betrachtet werden sollten.

1. Staatliche Aufträge für Innovationsprodukte unter besonderer Berücksichtigung sozialer Nachhaltigkeit

Hier profitiert die Privatwirtschaft vom Umstand, dass die Innovationskosten durch den Auftraggeber Staat getragen werden und dass sie einen international extrem wertvollen Referenzkunden hat. Sie wird in Wertschätzung dieses Umstands bemüht sein, Produkte und Dienste zu liefern, die tatsächlich nützliche staatliche Innovationenermöglichen. Dieser Nutzen für den Staat lässt sich in aller Regel am besten mit Auftragnehmern aus der Schweizer Wirtschaft realisieren, die obendrein den Schweizer Fachnachwuchs ausbilden.

2. Gemeinsame Entwicklung von E-Government-Innovationen in Private-Public-Partnerships

Der Staat profitiert von einer effizienteren und/oder besseren Ausführung seines Kerngeschäfts, indem er die Innovationsfähigkeiten des privatwirtschaftlichen Unternehmertums nutzt. Die Privatwirtschaft profitiert ihrerseits vom Know-how-Gewinn. Auch hier ist allein schon aus kulturellen Gründen eine Zusammenarbeit mit Schweizer Auftragnehmern oft die beste Wahl.

3. Startfinanzierung des Aufbaus von Infrastruktur

Durch eine staatliche Initialfinanzierung wird sichergestellt, dass Märkte entstehen können, wenn der ROI erst nach mehreren Jahren Gewinne einspielt. Alle drei Massnahmen sollten sinnvoll ergänzt werden mit staatlichen Nutzungszusagen und staatlichen Regulierungen des Markts, die auf gesellschaftlicher Ebene die Chancengleichheit sicherstellen. Den Betrieb der Infrastruktur an ein heimische Firmen zu vergeben, ist dabei aus vielerlei Gründen sinnvoll. Oder möchten Sie, dass eine nationale elektronische Identität vom Ausland aus betrieben wird?Bei allen Formen staatlichen Engagements für heimische Auftragnehmer stellen sich eine Reihe von positiven Effekte ein. Diese sind schnellere öffentliche Innovationen, die Möglichkeit Innovationen sozial fair zu gestalten, gute Ausbildung des Fachnachwuchses sowie nationales Wirtschaftswachstum verbunden mit mehr Steuereinnahmen. Parallel dazu profitiert die Wirtschaft vor allem davon, dass sie dank Heimaufträgen international konkurrenzfähig wird. Die obgenannten Vorteile sollten für den Staat Grund genug sein, eine aktivere Rolle in der Entwicklung der Technologiemärkte ernsthaft in Erwägung zu ziehen – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass dies im Kernland des Wirtschaftsliberalismus, den USA, seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert wird.

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