Mit Location Intelligence weniger Verkehrsunfälle

Donnerstag 19.03.2015 Urs Binder
Urs Binder

Urs Binder ist freischaffender Journalist mit einem Fokus auf ICT.

Eine benutzerfreundliche Webapplikation zur geografischen Analyse von Unfällen und Unfallschwerpunkten unterstützt Bund und Kantone beim Vollzug des Verkehrssicherheitspakets Via sicura.

Unfallschwerpunktanalyse mit GIS-Unterstützung: Das Ziel sind weniger Unfälle.

Im Jahr 2013 ereigneten sich auf Schweizer Strassen 17'473 polizeilich gemeldete Unfälle mit Personenschaden. Dabei kamen 269  Personen  ums Leben,  4129  wurden schwer und 17'250 leicht verletzt. Nimmt man Unfälle mit blossem Sachschaden hinzu, lag die Gesamtzahl bei über 50'000.
Mit  dem  klaren  Ziel,  die  Zahl  der  Verletzten und Todesopfer zu reduzieren, hat das Parlament im Juni 2012 das Verkehrssicherheitspaket  «Via  sicura» angenommen. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat im Rahmen der Vollzugsunterstützung zum Art.  6a  SVG  die  «Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente» (ISSI) entwickelt, welche von den zuständigen Stellen in den verschiedenen Phasen von der Planung bis zum Betrieb der National-, Kantons- und Gemeindestrassen  zur  Optimierung  der Sicherheit eingesetzt werden können. Die konkrete Anwendung der einzelnen ISSI wird in Normen des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute 
(VSS) vertieft erläutert.

« Die ganze Schweiz in einer halben Stunde. »

Ein zentrales Instrument für die Unfallanalyse ist die Fachapplikation VUGIS, die unter anderem von Elca realisiert wurde – die Abkürzung steht für «Verkehrsunfallanalyse mit Geoinformationssystemen». Bei einem Unfall hält die Polizei alle relevanten Angaben in einem Unfallaufnahmeprotokoll fest. Danach werden diese Daten in das gesamtschweizerische Register übertragen, qualitätsgesichert und georeferenziert. Die Strasseneigentümer  – also Bund, Kantone und Gemeinden – müssen im Rahmen des Unfallschwerpunkt-Managements die besonders risikoreichen Stellen identifizieren und entsprechende Massnahmen treffen. Für die Analyse eignet sich eine Kartendarstellung besser als rein tabellarische Darstellungen.

Geografische Unfallanalyse

Mit  der Webapplikation VUGIS  werden Unfallschwerpunkte in der ganzen Schweiz automatisiert erkannt und rangiert. Die Anzeige der Unfälle auf einer Karte ermöglicht eine  übersichtliche  Prüfung  des  Unfallschwerpunkts. VUGIS unterstützt zudem die Umsetzungs- und Wirkungskontrolle durch  sogenannte Überwachungszonen. Die Anwendung ist bei rund 150 Nutzern 
im ASTRA, den kantonalen Polizeibehörden und Tiefbauämtern sowie bei einigen Städten und Gemeinden im Einsatz.

VUGIS identifiziert und klassifiziert die Unfallschwerpunkte mit einem durch VSS-Experten erarbeiteten, normierten Algorithmus. Die Berechnungsparameter der Unfallschwerpunktsuche sind dabei festgelegt und können vom VUGIS-Anwender nicht geändert werden.

Vor  der  Einführung  von  VUGIS  mussten  die  Strasseneigentümer  oft mehrere Wochen Arbeit in die Suche von Unfallschwerpunkten investieren. Die neue Lösung benötigt für die Berechnung über die ganze Schweiz eine halbe Stunde, dadurch können die knappen Budgets für die vertiefte Analyse und für Massnahmen genutzt werden.

Komplexe Abfragen einfach erstellt

Während die Definition der Unfallschwerpunkte strikt geregelt ist, kann die Unfalldatenbank mit der VUGIS-Webapplikation sehr  flexibel  nach  räumlichen Kriterien und verschiedensten Attributen durchsucht werden. Dies sind etwa Unfallschwere, Infrastrukturattribute oder Altersstufe der betroffenen Verkehrsteilnehmer. Die Nutzer erstellen dabei über ein Abfragemodul ohne 
SQL-Kenntnisse komplexe Abfragen und ermitteln so zum Beispiel alle Unfälle, die sich in einem bestimmten Zeitraum im Umkreis von 300 Metern um eine Primarschule mit einer Unfallbeteiligung von Kindern ereignet haben. Einmal definiert, können solche Suchkriterien für künftige Auswertungen gespeichert werden. 

« Für komplexe Abfragen braucht es keine SQL-Kenntnisse. »

Die  gefundenen  Unfälle  zeigt  die Webapplikation auf einer Karte je nach Art des Unfalls mit Symbolen in unterschiedlichen Farben und Formen an. Mit einem Klick auf einen bestimmten Unfall erscheinen alle Informationen, die dazu in der Unfalldatenbank vorhanden sind. Die Unfalldaten werden täglich aus dem Data Warehouse in das VUGIS-System übertragen. In der Karte lassen sich weitere eidgenössische und kantonale Kartenebenen einblenden, zum Beispiel Points of Interest, die Verkehrsstärke oder Gemeindegrenzen. Bei der Entwicklung der Applikation wurde besonders auf die Leistungsfähigkeit der  Kartendarstellung  in  Kombination mit Filtern geachtet. Das Ziel war es, die Ergebnisse möglichst ohne Wartezeit anzuzeigen, um eine hohe Nutzerakzeptanz zu erreichen. Für die Dokumentation bietet VUGIS ein ausgereiftes Druckmodul, mit welchem PDF-Karten bis zum Format A0 erzeugt werden können. Direkt aus der Webapplikation lassen sich zudem tabellarische PDF-Berichte erstellen.

Projekt agil umgesetzt

Die aktuelle Version von VUGIS hat Elca mit einer Gruppe von neun Softwareingenieuren und User-Interface-Spezialisten in enger Zusammenarbeit mit dem ASTRA, dessen Fachunterstützung und den kantonalen Expertengruppen  entwickelt.  Elca erhielt den Zuschlag auf Basis einer WTO-konformen Ausschreibung, bei der neben dem Preis und der agilen Entwicklung die Fachkompetenz  eine  wichtige  Rolle  gespielt hat: Die Lösung VUGIS basiert auf vielen unterschiedlichen Technologien, die auf einer tiefen Ebene eng verzahnt werden mussten – neben der GIS-Technologie von ESRI, der Business-Intelligence-Plattform von SAP BusinessObjects, der Microsoft-Umgebung  mit ASP.NET  und  C#  sowie der  Oracle-Datenbank  wurden aktuelle Webtechnologien  wie  JavaScript,  Dojo, HTML5 und CSS3 eingesetzt.

Das Projekt startete im Oktober 2012, seit März 2014 läuft die Applikation produktiv. Bei der Entwicklung setzte Elca auf die  agile  Methodik  Scrum:  Die Lösung entstand in insgesamt 25 Etappen – sogenannten Sprints – von jeweils drei Wochen Dauer. Nach jedem Sprint konnte das ASTRA als Produktverantwortlicher die Ergebnisse begutachten und war so aktiv 
in den Entscheidungs- und Umsetzungsprozess eingebunden.

Nutzer im Zentrum

Besonderes Augenmerk lag auf der Nutzerakzeptanz. Beim Entwicklungsstart wurden  deshalb  die  Endanwender ins Projekt miteinbezogen. Zuerst mithilfe von  Prototypen  auf  Papier, später mit 
erstellten  Zwischenlösungen, konnten auch kritische Vertreter von Kantonspolizeien, Tiefbauämtern und des ASTRA die Webapplikation selbst ausprobieren und ihre Verbesserungsvorschläge aktiv einbringen.

Grossen Wert legte das ASTRA auf die Qualitätssicherung. Dazu wurde eine 
CI-Umgebung  aufgebaut (Continuous Integration), die jede Änderung  am 
Quellcode prüft, automatische Tests durchführt und eine statistische Aus-
wertung des Quellcodes erstellt. Neben den in Softwareprojekten üblichen Unit Tests umfasste der Testprozess auch automatische Bedienungstests mit Simulation von Benutzeraktionen – so konnte die Anwendung laufend auf verschiedene Nutzungsszenarien hin überprüft und optimiert werden.

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